20131211

Die Quäkerspeisung in Klotzsche

Out now: das neue "Klotzscher Heideblatt" mit einem Beitrag zur QUÄKERSPEISUNG IN KLOTZSCHE 

                                              

Die sogenannte "Quäkerspeisung" war das zentrale Ereignis, das die angloamerikanische Religionsgemeinschaft der Quäker nach Europa, Deutschland, Sachsen und schließlich auch Klotzsche brachte. Schon zu Beginn des Aprils 1920 war es amerikanischen Quäkern möglich geworden, an verschiedenen Orten in Dresden-Neustadt 1.500 unterernährte Kinder zu speisen.  Aus diesem Grund findet man in dieser Zeit oft auch den Namen „Amerikaspeisung“.

Organisiert wurden die Speisungen von der Regionalleitung, des „Sächsischen Ausschusses für Kinderspeisung“. Georg Schnörr, Margaret Knollenberg, Dr. Hans von Brescius und ein Herr Hinsberg trugen in Dresden die Verantwortung. Die Zentrale für ganz Deutschland befand sich in Berlin. In Klotzsche hatte die Familie Pollatz zwangsläufig damit zu tun, da M. Pollatz zu diesem Zeitpunkt im Gemeinderat saß, verantwortlich für den Bereich Armenfürsorge. Er koordinierte vor allem die Speisung und stellte die Verbindung der Hilfsdienste zur Gemeinde her – ansonsten operierten die Quäker in Klotzsche wie auch anderswo unabhängig und eigenverantwortlich. Auch die Kinder der Familie Pollatz haben an der Quäkerspeisung teilgenommen.
In Klotzsche begannen solche Speisungen am 24. April 1920. Zunächst wurden 37 Kinder versorgt, und zwar die am stärksten unterernährten. Es war eine reine Nothilfe der schwierigsten Fälle, die vor dem Verhungern gerettet wurden. Nach einer medizinischen Untersuchung dieser Kinder sollte die Zahl der Versorgten erweitert werden. Schon zum 10. Mai des Jahres wurde die Zahl auf 120 Kinder erhöht. Noch im Sommer 1923 wurden täglich 110 Essen über die Quäkerspeisung ausgeteilt, neben 440 weiteren Portionen im Rahmen der kommunalen Armenspeisung, wozu extra ein Küchenmädchen von der Gemeinde angestellt wurde.
Einige der Eltern waren offenbar unsicher, ob ihre Kinder überhaupt zugelassen waren. Es wurde daher Ende Mai nochmals ausdrücklich darauf hingewiesen, dass nur ein ärztliches Attest zur Speisung berechtigt, ohne Rücksicht auf soziale Stellung, Religion, oder die politische Anschauung der Eltern. Diese Ausrichtung ausschließlich auf die Bedürftigkeit war neu und unterschied sich vor allem von den Kirchen, die ihre Hilfen zunächst ihren Gemeindemitgliedern zukommen ließ, trotz des vollmundig verkündeten Gebotes der Nächstenliebe.
Nach jeder Speisung fand eine ärztliche Begutachtung statt. Kinder, die genügend gestärkt waren, wurden sofort von der Speisung ausgeschlossen, um Schwächeren Platz zu machen. Diese Regelung war, wie man sich vorstellen kann, dem Frieden kaum zuträglich. Es kam immer wieder zu Spannungen mit bedürftigen Familien, die ihre Kinder bei der Speisung versorgt wissen wollten. Es gab Fälle, in denen Kinder in Familien absichtlich hungerten, um wieder zu den Speisungen zugelassen zu werden. In Dresden konnten auch Schwangere, Mütter und Vorschulkinder zu den Speisungen zugelassen werden; ähnliche Bestrebungen in Klotzsche ließen sich nicht umsetzen.
Über die Quäkerspeisung existieren heute viele falsche Vorstellungen, was wohl auch daran liegt, dass es (noch) keine wissenschaftlich befriedigende Untersuchung zu diesem Thema gibt.

  • 1. Zunächst ist es einer der landläufigen Irrtümer, anzunehmen, die Speisung wäre eine vollwertige Mittagsmahlzeit gewesen – vielmehr handelte es sich um eine Art vormittäglichen Krafttrunk als Nahrungsmittelergänzung. Die Bezieher der Quäkerspeisung sollten nach Möglichkeit auch ein außerschulisches Mittagsessen einnehmen. Es war Manfred Pollatz, der dazu riet, die Speisung nicht auf die Mittagszeit zu legen, da sie nicht als Mittagsspeise oder Ersatz für diese gelten sollte. Schließlich wurde 1921 die Ausgabe der Speisung in Klotzsche und anderswo durch das Sächsische Kultusministerium von zwölf auf zehn Uhr früh vorverlegt.
  • 2. Dann waren die Speisungen nicht ganz kostenlos: Da die Nahrungsmittel, die überwiegend aus den USA stammten, unentgeltlich geliefert wurden, mussten die Kinder (bzw. deren Eltern) nur einen kleinen Beitrag zu den allgemeinen Unkosten des Küchenbetriebs beisteuern. Die Stadt empfahl, dass jedes Kind 20 Pfennig pro Speisung zahlen sollte.  Letztlich einigte man sich auf 25 Pfennig, 1921 30 Pfennig, 1922 50 Pfennig. Dann brach die Inflation herein: 1923 erst 25 Mark, bald 5.000 Mark, 250.000 Mark, 300.000 Mark, schließlich 5 Millionen. Die Kosten für die Teilnahme an der Speisung stiegen von Woche zu Woche, schließlich von Tag zu Tag! Die Lage beruhigte sich erst nach der Einführung der Rentenmark im November 1923, als eine Speisung zunächst auf drei Goldpfennige gesetzt wurde.
  • 3. Zu guter Letzt muss man feststellen, dass die Quäkerspeisung keineswegs eine rein angloamerikanische Liebesgabe gewesen ist. Ganz im Gegenteil, die deutschen Gemeinden trugen den Großteil der Kosten und sind nach der Weltwirtschaftskrise teilweise vertraglich, teilweise freiwillig für die entstandenen Kosten aufgekommen (die Hilfsstruktur war übrigens eines der Vorbilder für den Marshall-Plan nach dem Zweiten Weltkrieg). In Klotzsche steuerte die Gemeinde beispielsweise zwischen Mai 1920 und März 1921 nicht weniger als 7.100 Mark für die Speisung hinzu. Das Vorgehen kann man durchaus mit den kirchlichen Trägern Caritas oder Diakonie vergleichen: der Staat trägt den Großteil der Kosten, in der Öffentlichkeit meint man, es würde sich um ein großzügiges Liebeswerk der Kirche handeln.
1922/23 befand sich die Quäkerspeisung auf ihrem Höhepunkt: Am 1. November hatte US-Generalmajor Allen bekannt gegeben, dass im kommenden Winter zwei Millionen Kinder durch den Einsatz der Quäker gespeist werden sollten. Bis zu diesem Zeitpunkt hat sich die Zahl der Quäkerspeisungs-Teilnehmer ständig erhöht. 200 Schulkinder wurden im Sommer 1924 gespeist – das war ein Drittel aller Schüler der Gemeinde. Doch schon ein Jahr darauf, also 1925, war die Quäkerspeisung in Klotzsche bereits zu Ende – die Versorgung der Armen durch eine Suppenküche und die der armen Schüler durch ein Milchfrühstück (bis 1935) in alleiniger Verantwortung der Gemeinde wurde aber bis zum Ende der Weimarer Republik fortgesetzt.

(siehe auch: C. Bernet: Quäkerspeisung in Klotzsche, in: Klotzscher Heideblatt, 64, 2013)

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Informativer Beitrag, vielen Dank. Es wird übrigens gerade eine Dissertation zur Quäkerspeisung in Dresden und Dresden-Neustadt geschrieben. LG, U. Schulte