20120910

Britten ehren die Quäkerin Joan Mary Fry mit einer Briefmarke

Bekannt ist die Briefmarke, die die quäkerische Sozialreformerin Elizabeth Fry ehrt (ausgegeben 1976). Jetzt durfte ich in London eine neue Marke entdeckten, die Joan Mary Fry porträtiert:

Es soll weltweit die erste Briefmarke sein, auf der das Wort "Quaker" erscheint (dazu Quaker News, 82, 2012, S. 15)

Joan Mary Fry war eine engagierte Sozialreformerin aus alter englischer Quäkerfamilie. Sie wurde in West Hill, Highgate (Middlesex) am 27. Juli 1862 geboren. Sie war die zweite von sieben Töchtern und zwei Söhnen eines Richters, Sir Edward Fry (1827-1918), und seiner Frau, Mariabella Hodgkin (1833-1930). Ihr Bruder Roger Fry (1873-1969) war als Künstler Mitglied der Bloomsbury Group. Als dessen Frau Helen Coombe in eine Anstalt eingewiesen wurde, half sie ihrem Bruder bei der Kindererziehung von Pamela und Julian.
Sara Margery Fry (1874-1958), Ruth Fry (1879-1962) und Agnes Fry (1869-1958) waren weitere Geschwister. Wie diese wurde Joan Mary Fry von 1867 bis 1882 von Hauslehrern erzogen, mit einem Schwerpunkt auf Naturwissenschaften und Fragen der sozialen Gerechtigkeit. Hebräisch und Altgriechisch brachte sie sich zum Teil selbst bei.

Die häuslichen Verhältnisse der Familie Fry waren selbst für viktorianische Verhältnisse bieder und eng; Fry konnte bis zu ihrem 30. Lebensjahr praktisch nicht einmal die Villa ohne Begleitung verlassen. Dennoch konnte die Überwachung nicht verhindern, dass sie durch einen Unfall in ihrer Kindheit ein Auge verlor (daher wird sie immer seitlich abgebildet, so dass das künstliche Auge nicht zu sehen ist). Bis ins 60. Lebensjahr entsagte sie sich dem Theater- und Opernbesuch, und wie ein Berliner Zeitgenosse bemerkte, soll sie niemals über eine Sache gelacht haben, und über sich selbst schon gar nicht.
Wie viele sozial tätigen Quäkerinnen des 20. Jahrhunderts blieb sie unverheiratet, liebte aber Kinder über alles. Ebenso liebte sie Tiere und entschloss sich frühzeitig, Vegetarierin zu werden. Von Statur war sie klein, doch sie besaß ein bemerkenswerte Präsens und wusste sich Gehör zu verschaffen.
Sie wuchs in betuchten Verhältnissen auf und alle Türen standen ihr offen. Sie entschloss sich, im sozialen Bereich zu wirken. 1910 hielt sie die Swarthmore Lecture des London Yearly Meeting, veröffentlicht unter dem Titel „The Communion of Life to the Quakers“, in dem erste biographische Erlebnisse den Hintergrund abgaben, wenngleich die Zeit ihres eigentlichen Wirkens noch bevorstand. Während des Ersten Weltkriegs diente sie als Gefängnisseelsorgerin für inhaftierte Kriegsdienstverweigerer der Quäkergemeinde. Als einzige Frau war es ihr erlaubt, Gefangenenlager britischer Kriegsdienstverweigerer zu besuchen. Diese Personen wurden äußerst brutal behandelt und gefoltert, in einem Fall rettete Fry einen Insassen vor dem Tode.
Innerhalb der Quäkergemeinde verteidigte sie einen radikalen Totalpazifismus. Im Juli 1919 reiste sie in das besiegte Deutschland und half bei der Nahrungsmittelverteilung im Rahmen der Quäkerspeisung. Ihre detaillierten Berichte über den gesundheitlichen Zustand der Deutschen nach England sind bis heute wissenschaftlich noch nicht ausgewertet worden, wenngleich ihr Buch „In downcast Germany“ (1944) viel über diese Zeit berichtet. Als 1923 das Ruhrgebiet von französischem Militär besetzt wurde, intervenierte sie gegen das brutale Vorgehen einzelner Soldaten und wurde kurzfristig selbst inhaftiert. Wegen ihres humanitären Einsatzes verlieh ihr ein Jahr später die Universität Tübingen die Ehrendoktorwürde.
Fry in hohem Alter.
Erst nach sieben Jahren kehrte sie nach England zurück, wo sie hinfort unter Armen und Arbeitslosen tätig war. Insbesondere unter den verarmten Kohlebergarbeitern in Südwales wurde sie aktiv: ähnlich wie in Deutschland schuf sie Mittagstische für Kinder von Arbeitslosen und motivierte die Gemeinden, kleine Industriebetriebe aufzubauen. Im Rahmen des Friends Allotment Committee von 1928 bis 1951 erreichte sie es, dass Bergarbeiter Gemüse ohne Pachtgebühren anbauen konnten. Georg V. wollte Fry dafür ehren, doch – im Gegensatz zur Doktorwürde – lehnte sie ab mit der Begründung, nicht aus dem Schicksal der Ärmsten Profit schlagen zu wollen. Fry verstarb mit 93 Jahren in London am 25. November 1955 in ihrem Londoner Haus in Temple Fortune Hill. Ihre Urne wurde auf dem Friedhof Goldes Green bestattet.

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