Über Quäkerforschung kursieren mitunter die merkwürdigsten
Vorstellungen. So mancher bildet sich ein, man würde immer hinter dem PC sitzen
und dabei eine Menge Geld verdienen. Beides ist ein krasser Irrtum –
Quäkerforschung ist mitunter extrem anstrengend, und anstatt etwas dabei zu
verdienen, zahlt man obendrauf. Eine Unsumme habe ich in den letzten
zwanzig Jahren bestimmt in Buchprojekte, Forschungsreisen, Bildrechte etc.
investiert – an die Arbeitsstunden darf man dabei gar nicht denken. Einfach
unbezahlbar. Aber ich gebe zu: es macht auch einen Riesenspass und ich lerne
Menschen dabei kennen, denen ich ansonsten nie begegnet wäre.
Ein Höhepunkt der Tiefpunkte war meine Reise zum
Quäkerfriedhof Hille im vergangenen Jahr 2011.
Ich muss zugeben, dass mich die
Friedhöfe der Quäker wenig interessieren und ich die Erforschung dieser
düsteren Orte jahrelang hinausgeschoben habe. Jetzt aber wurde es ernst und ich
wollte doch einmal den ehemaligen Quäkerfriedhof in Hille besuchen, einer
kleinen Gemeinde hinter Minden. Mein erster Versuch scheiterte im Januar 2011 an
den extremen Wetterbedingungen. Der ICE saß zunächst in Berlin-Spandau vereist
fest und kämpfte sich dann mit einer sechsstündigen Verspätung durch den Schnee
nach Minden. An eine Weiterfahrt nach Hille war nicht mehr zu denken, aber
immerhin gelang es noch, die Familie Rasche zu besuchen, deren Vorfahren ja Quäker
waren und die noch immer wichtige Dokumente zur
Gemeindegeschichte besitzen. Im Sommer unternahm ich einen zweiten Versuch.
Diesmal scheiterte ich an mir selbst. Ich wusste bislang gar nicht, dass
frühmorgens von Berlin aus nach Minden zwei Züge zur gleichen Zeit abfuhren – und leider hatte
ich den falschen genommen. Da ich meist in Zügen gut schlafen kann, stellte ich
meinen Wecker und wachte erst kurz vor Kassel-Wilhelmshöhe wieder auf: ich
hatte die Zeit für den anderen Zug gestellt und Minden verpasst.
Doch unmittelbar vor Weihnachten sollte es doch noch gelingen. Wie oft
im Leben: Hartnäckigkeit führt zum Ziel. Ich war diesmal optimal vorbereitet
und hatte alle in Frage kommenden Fahrpläne ausgedruckt. In Minden kam ich
schon um 12 Uhr an und nun ging es mit dem Bus weiter. Ich musste aber feststellen,
dass ich die Ausdrucke vor dem winterlichen Fahrplanwechsel vorgenommen hatte. Das
bedeutete erst einmal zu warten. Wer den Bahnhof von Minden kennt, weiß, was für
ein Vergnügen das ist. Über drei Busse kam ich aber doch gut in Hille-Ortsmitte
an, wo die zentrale Station „Hille-Apotheke“ heißt. Wie viele Geschäfte auf dem
Land war um die Mittagszeit die Apotheke geschlossen und ich musste mich zu der
Stelle, an der ich den Friedhof vermutete, durchfragen. Dabei fiel mir wieder
einmal auf, wie schlecht auch Landmenschen ihre Heimat kennen: „Nie gehört“,
„bin seit kurzem Zugezogen“ oder „das gibt es hier nicht“ bekommt man da zu
hören. Inzwischen war der Nieselregen stärker geworden und Kälte zog sich
langsam in meine alten Knochen – Friedhofsstimmung eben. Selbstredend gibt es
in Hille keinen Bäcker oder Späti, wo man sich eben mal hätte aufwärmen können.
Jedenfalls habe ich keinen gefunden. Nur Dank google-maps fand ich dann doch an
einer Ausfallstraße nach Rahden den gesuchten Platz.
Um mich herum waren nur alte Hofanlagen, von Gräbern keine
Spur. Um mir sicher zu gehen, bin ich erst einmal das ganze Areal abgelaufen.
Das gibt es doch gar nicht: 1998 hatte mein Kollege Hartmut Horstmann noch
einen klugen Artikel geschrieben, der „Zwei Torpfosten sind noch geblieben“
hieß und in dem es um die Reste des Friedhofs ging. Irgendwo mussten die
Pfosten doch sein! Jetzt half nur noch die direkte Kontaktaufnahme mit der alteingesessenen
Bevölkerung. Der Ostwestfale soll ja etwas verschlossen sein. Nachdem ich
meinen ganzen Mut zusammengenommen hatte, klingelte ich am ersten Hof, den ich
zuvor zwei Mal umschlichen hatte. Eine Frau öffnete und war völlig entsetzt,
dass ihr Hof auf einem Friedhof liegen sollte. Erst nachdem ich sie beruhigen
konnte, verstand sie, dass sich die Gräber irgendwo in der Nähe, aber sicher
nicht unter ihrem Schlafzimmer befinden. Helfen konnte sie aber erst einmal nicht
– obwohl ein Negativfund ja auch immer ein Fund ist. Beim nächsten Hof hatte
ich auch kein Glück: der Bauer lud mich
nach drinnen ein, wohl aus Miltleid, und wurde recht gesprächig. Bei Kaffee
wärmte ich wieder auf und hörte aus Höflichkeit eine knappe Stunde Geschichten
und Geschichtchen aus der lieben Nachbarschaft. Quäkerfriedhof? Fehlanzeige
auch hier. Erst beim dritten Hof hatte ich mehr Glück. Erst öffnete eine
jüngere Frau, deren Kinder im ersten Stock tatsächlich „Friedhof, geil ej“
riefen. In Hille scheint eben wenig los zu sein, „tote Hose“, sozusagen. Die
freundliche Frau konnte dann eine weitere noch freundlichere Bewohnerin
herbeirufen, die von diesem Friedhof gehört hatte. Kaum zu glauben, ich war am
Ziel. Die Stelle war gleich in der Nähe. Man musste jedoch noch über einen
Acker laufen, den der Regen der letzten Tage aufgeschwämmt hatte. Schließlich
konnte ich mich durch den Modder und die Pfützen durchkämpfen und diese
Aufnahme machen:
Ja, richtig, die Pfosten sind nicht mehr da. Wie ich später
erfahren habe, hat sie der Bauer um das Jahr 2000 vom Feld genommen. Sie
befanden sich ungefähr an den Stellen, die ich in dem Foto rot markiert habe. Über
die Jahre kamen die Pfosten wohl aus der Verankerung und wanderten durch den
Acker, so dass sie schließlich die Feldarbeit behinderten. Die Quäker seinerzeit
betraten den Friedhof nicht von der Seite des Ackers, sondern von den Höfen aus, die man im Bildhintergrund erkennt. Es war das Grundstück des Kolon Friedrich Fehrmann (Hausnumme 102) einem eifrigen Quäker. Christian Fehrmann (1795-1845) war der letzte, der hier 1845 bestattet wurde.
Heute erinnert also absolut nichts mehr an den ehemaligen Friedhof. Grabsteine hat es vermutlich nie gegeben, sie waren zu teuer und widersprachen auch dem Gebot der Einfachheit. Ich machte mich durch den Modder wieder zurück zur Bushaltestelle. Dort hatte ich noch eine Stunde Zeit, bei Wind und Wetter über den Friedhof (und anderes) nachzudenken.