Ein
Beitrag zur religionsgeschichtlichen Vergleichsforschung:
Luther
und Fox. Luthertum und Quäkertum
Ein methodisches Vorwort: der historische Vergleich
Die Geschichte des Luthertums und des Quäkertums fängt an, als
diese Begriffe noch gar nicht existierten, denn es ist mit Martin
Luther und George Fox im 16. bzw. 17. Jahrhundert zu beginnen. Da die
Quäker rund 150 Jahre nach Luther entstanden sind, finden sich schon
in ihrer Genese Elemente der Rezeption des Luthertums, was hier etwas
näher vorgestellt werden soll.
Luther (links) und Fox (rechts)
Freilich: Ein Vergleich dieser beiden Personen, und im weiteren Sinne
dieser beiden Glaubensgemeinschaften, bringt erhebliche
Schwierigkeiten mit sich, da es sich um verschiedene
Entstehungszeiten, verschiedene Glaubensformen sowie verschiedene
Länder und Sprachen handelt.
Bevor nun ein Vergleich zwischen Luther und Fox vorgenommen werden
soll, werden einige Worte über die Methode des Vergleichs
vorauszuschicken sein.i
In der Geschichtswissenschaft, weniger in der Theologie, aber
vermehrt wieder in den Religionswissenschaften, hat man sich intensiv
mit Vergleichen im Rahmen der historischen Komparatistik
auseinandergesetzt. Seit 1991 gibt es sogar eine Zeitschrift,
„Comparativ“, die sich dieser Methode verschrieben hat.
In der modernen Geschichtswissenschaft wurde schon seit Mommsen und
Ranke verglichen, wohingegen die wissenschaftliche Reflexion des
Vergleichs einhundert Jahre später einsetzte. Man kann also
Vergleiche vornehmen und dabei glänzende Ergebnisse erzielen, ohne
sich über das Instrumentarium bewusst zu sein, dessen man sich
bedient. Erst Otto Hintze und Marc Bloch haben – letztlich ohne
Erfolg – in den 1920er Jahren versucht, mit dem Vergleich
nationalstaatliche Paradigma zu überwinden, deren Forschungen später
von Hartmut Kaelble auf eine europäische Ebene gebracht und
weiterentwickelt wurden. Eine bis heute anhaltende Diskussion hat die
Vergleichsproblematik in der Zeitgeschichte, entstanden am
Diktaturenvergleich des „Dritten Reichs“ mit der DDR, worin es
aber weniger um die Methode, sondern um die politische Legitimität
von Vergleichen geht.
Wie nun eine Methodik des Vergleiches aussehen könnte, ist höchst
unklar und es gibt dazu unterschiedliche Ansätze, deren elementarer
Unterschied darin besteht, ob man Phänomene aus einer oder aus
unterschiedlichen Zeiten untersucht. Vergleicht man aus
unterschiedlichen Zeiten, handelt es sich eigentlich um einen
doppelten Vergleich, denn man untersucht nicht allein die beiden
Phänomene, sondern auch den divergenten Zeithorizont.
Ein jeder Vergleich hängt jedoch ganz entscheidend von der
Perspektive ab. Man kann das mit einem Mikroskop vergleichen: Mit
einem kleinen Objektiv kann man viele Unterschiede festmachen. Mit
jeweils größeren Objektiven werden sich die Gegenstände immer
ähnlicher und gleichen sich an. Unterschiede bestehen nicht an sich,
sondern sie liegen an der perspektivischen Einstellung und sind
kulturell konstruiert. Die dabei vorgenommenen Begriffsbildungen,
Abstraktionen und Synthesen beruhen in jedem Fall darauf, dass
Biographie, Erfahrungswelten, Wissensdiskurse unter einem bestimmten
Erkenntnisinteresse analysiert und auf einen übergeordneten,
gemeinsamen Referenzhorizont bezogen werden. Das setzt Grundannahmen
voraus, nämlich diese, dass 1. universelle und 2. zeitindifferente
menschliche Fähigkeiten und Bedürfnisse sowie 3. Grundformen des
symbolischen und sozialen Handelns existieren. Diese sind nicht
naturgegeben, sondern werden von der jeweiligen Gesellschaft,
Politik, Religion und Kultur hergestellt und dargestellt.
Bei alledem darf nicht vergessen werden, dass – auch wenn hier das
Beispiel des Mikroskops gewählt wurde – die
geschichtswissenschaftlichen Instrumentarien sich von denen der
Naturwissenschaft unterscheiden. Es geht vielmehr darum, eine
Sensibilität zu entwickeln gegenüber den Grenzen und Eigenheiten
der Gegenstände, die man analysiert. Ein historischer Vergleich
mindestens zweier historischer Persönlichkeiten (Luther versus Fox;
oder Personengruppen: Quäker versus Lutheraner) will deren
Ähnlichkeiten und Unterschiede anhand spezifischer,
interessengeleiteter Fragestellungen in verschiedenen
gesellschaftlichen Konstellationen und kulturellen Kontexten über
einen dreihundertjährigen Zeit- und Erfahrungsraum hinweg verstehen
und erklären. Je nach Interesse, Perspektive, religiöser oder
politischer Einstellung werden unterschiedliche Gewichtungen
vorgenommen; und nur so ist zu verstehen, weshalb ein und derselbe
Unterschied bzw. ein und dieselbe Gemeinsamkeit von den einen als
klein, gering oder akzidentiell, von den anderen als gravierend,
fundamental und absolut betrachtet wird.
Martin Luther und George Fox
Wie kaum anders zu erwarten, gibt es bei Gründerpersönlichkeiten
religiöser Gemeinschaften – und anhand dieser Funktion soll der
Vergleich vorgenommen werden – ganz erhebliche Ähnlichkeiten. Über
das bloß Zufällige oder Akzidentielle hinaus scheinen mir für uns
heute folgende Punkte bedeutsam:
-Luther wie Fox wollten keine neue Gemeinde oder Kirche gründen.
Luther sah sich lebenslang als rechtschaffener Katholik, und Fox
behauptete, lediglich den Urzustand der ersten Christen
wiederhergestellt zu haben.
-Luther und Fox waren unbeirrbar von ihren Meinungen überzeugt und
haben dafür Bewunderung wie Verfolgung und Verachtung in Kauf
genommen. Mit Max Weber kann man sie als „religiöse Virtuosen“
bezeichnen.
-Beide Personen waren Erfahrungsmenschen, die ihre Zeit nicht nur in
der Bücherstube verbrachten. Sie kannten die schmerzhaften
Versuchungen des Lebens, die Höllen der Melancholie und hatten ein
Gespür für die Ungerechtigkeiten ihrer Zeit. Deshalb waren sie
prädestiniert, ihre Mitmenschen anzusprechen und ihnen Trost zu
geben, oder, wie Quäker es ausdrücken würden, sie konnten „zu
ihrem Zustand sprechen“. Beide Persönlichkeiten waren große
Seelsorger.
-Luther wie Fox wurden in Umbruchs-, in Krisenzeiten hineingeboren.
Freilich haben sie die Krisen ihrer Zeit perpetuiert und die
gesellschaftlichen Umbrüche vorangetrieben: Nach Luther war die
einheitliche Christenheit in Deutschland Geschichte, und nach Fox war
das Quäkertum als stärkste der Dissentergruppierungen mehr oder
weniger gleichberechtigt und gleichbepflichtigt neben die
anglikanische Staatskirche getreten.
-Beide Personen haben auch polarisiert und die Zeitgenossen schieden
sich an ihnen: entweder war man für oder gegen Luther, bzw. Fox,
etwas Drittes gab es nicht.
Nun soll aber nicht verschwiegen werden, dass es bedeutsame
Unterschiede gibt. Diese Unterschiede bezeichne ich als bedeutsam,
weil sie nicht nur Gegensätze von Luther und Fox, sondern bereits
Gegensätze von Luthertum und Quäkertum beinhalten, freilich noch in
Rohfassung und noch nicht so ausgereift, wie es später der Fall sein
sollte:
Luther sah sich als Gelehrter und wurde auch als solcher
wahrgenommen. Er hatte eine, für die damalige Zeit,
„wissenschaftliche“ Ausbildung erhalten, war polyglott, belesen
und durchaus ein Intellektueller, freilich ein mitunter polternder
und wenig differenzierender.
Fox hingegen war Autodidakt und von seinem Wesen her
antiintellektuell eingestellt. Ob er sich Latein selbst beigebracht
hatte, ist bis heute umstritten. Den größten Teil seines Lebens saß
er im Gefängnis oder verbrachte er auf Wanderschaft – sein
beträchtliches Schrifttum entstand ad hoc, en passant und nicht in
der Bücherstube.
Luther waren Visionen und Prophezeiungen letztlich ein Gräuel; Fox
hatte zeitlebens immer wieder Visionen, Gesichte und Auditionen.
Luther versuchte, diese Elemente aus dem Religiösen herauszudrängen,
Fox errichtete sein gesamtes Gemeinde- und Gottesdienstverständnis
auf der direkten Geistrede des Einzelnen. Wobei man aber nicht
vergessen sollte, dass auch für Fox die Bibel die Bestätigung,
nicht aber die Quelle göttlicher Erfahrung sein musste.
Man könnte die Liste fortsetzen. Zum Verhältnis der beiden hat die
schwedische Schriftstellerin Emilia Fogelklou-Norlind (1878-1972)
1933 noch heute Gültiges formuliert, mit dem das Thema „Vergleich“
abgeschlossen werden soll: Fogelklou-Norlind nahm ihren Vergleich
anhand der Freiheit vor, den beide Personen in das Leben, bzw. in das
Denken oder in den Glauben der Anhänger von Luther bzw. Fox gebracht
hatte und schließt: „Wir Menschen heute scheinen an einen Abgrund
angekommen zu sein. Wir können weder den Glauben eines Luther noch
den eines Fox einfach annehmen. Glaube und Werk müssen uns selber
geoffenbart werden. Aber diese beiden Propheten mögen als Vorbilder
vor uns stehen, denn ihnen erstrahlte die Wirklichkeit Gottes durch
alle Probleme des Individuums und der Gesellschaft hindurch und regte
an zu neuem Glauben und neuverstandener Gemeinschaft“.ii
Was
wussten die englischen Quäker von Martin Luther?
Was genau die ersten Quäker von Martin Luther kannten, ist bislang
noch nicht untersucht worden. Zumindest kann man zweierlei sagen:
erstens, dass sie (theoretisch) wohl viel hätten kennen können,
zweitens, dass sie (in Wirklichkeit) wohl recht wenig kannten.
Zum Ersten: unter der anglikanischen Staatskirche waren die Schriften
Luthers nicht verboten, und in den verschiedenen Dissidentergruppen
freilich erst recht nicht. Jeder und jede, der des Lesens mächtig
war, konnte sich über Londoner Buchagenten die Schriften des
Reformators bestellen. Ob es sich um „A treatise touching the
libertie of a Christian“ handelt, um „Martin Luther’s divine
discourses at his table“, um „A commentary upon the Epistle of
Paul the Apostle, to the Galatians“: Luthers Ideen waren in England
zugänglich. Da nur wenige Quäker Latein beherrschten, standen ihnen
diese englischen Übersetzungen zur Verfügung.
Sie werden aber – und hier kommt der zweite Punkt – nur in den
seltensten Fällen diese Übersetzungen durchgearbeitet haben.
Zunächst muss man sich vor Augen führen, dass das Quäkertum eine
antiintellektuelle Bewegung gewesen war, der – zum Entsetzen der
gelehrten Christenheit – Gelehrsamkeit, Buchbesitz, ja selbst die
Universität mit ihrer ganzen Scholastik und Philosophie wenig oder
gar nichts bedeutete. In den überwiegenden Texten der ersten Quäker
wird nur ein Buch wieder und wieder zitiert, die Bibel, dann
gelegentlich Kirchenväter, und hin und wieder andere Quäkerautoren.
Luther, Calvin, Zwingli etc. sind zwar namentlich bekannt, aber
direkte Zitate aus ihren Werken sind die Ausnahme. Im Folgenden
sollen diese Ausnahmen etwas näher betrachtet werden, denn sie sind
ja die einzige Quelle, etwas über das Lutherbild der ersten Quäker
zu erfahren, wenn man sich nicht in allgemeinen Spekulationen ergehen
möchte.
Bevor damit begonnen wird, sollte noch ein anderer Theologe in
Erinnerung gerufen werden, der sich viel besser als
Identifikationsfigur für die englischen aber auch deutschen Quäker
geeignet hätte: Andreas Bodenstein, worauf allein Roland Bainton
(1894-1984) hingewiesen hat. Bainton, ein englischer Theologe,
erhielt von der Universität Marburg die Doktorwürde und war für 42
Jahre Professor für Kirchengeschichte an der Yale University.
Bainton hatte nach dem Ersten Weltkrieg auch für die Quäker
gearbeitet und sich ihnen als überzeugter Pazifist angeschlossen. In
seinem Klassiker „Here I stand“ – die bis heute beste
Lutherbiographie – sah er insbesondere in Andreas Bodensteins
(Karlstadts) Position zum Priestertum eine besondere Nähe zum
Quäkertum.iii
Bodenstein hatte wie Luther das allgemeine Priestertum ausgerufen,
doch ging er noch einen Schritt weiter, indem er die Abschaffung des
bezahlten Priesteramts forderte – und hierauf legten ja die Quäker
besonderen Wert. Bodenstein legte bekanntlich seinen Prälatenrock
nach 1522 ab und kleidete sich demonstrativ als Bauer, obwohl er gar
keiner war. Auch seinen Doktortitel legte er ab und ließ sich Bruder
Andreas nennen – diese Ähnlichkeiten mit dem Duzen der Quäker und
deren Ablehnung akademischer Titel hätte ihn zur deutschen
Identifikationsfigur des englischen Quäkertums prädestiniert –
doch es ist davon auszugehen, dass die Quäker von
Bodenstein/Karlstadt keine Kenntnis hatten. Eine Ausnahme ist allein
Robert Barclay, der in seiner Schrift „An apology for the true
Christian divinity“ kritisierte, wie Bodenstein, da er sich nicht
Luthers Ansichten unterwarf, verbannt wurde und als dann ein Brief
mit „ein Mann, aus Gewissensgründen von Martin Luther verfolgt“
dieser zu Tränen gerührt sein konnte.iv
Auf die inhaltlichen Positionen Bodensteins geht Barclay nicht ein,
er wird sie nicht gekannt haben, und falls doch, dann durch die
Perspektive lutherischer Quellen.
Insofern versuchte auch William Penn hinsichtlich des gerade
erwähnten Punkts des Duzens, Martin Luther als moralischen Kritiker
anzuführen. In seinem Klassiker „Ohne Kreuz keine Krone“, der ja
weit über das Quäkertum hinaus gelesen wurde und auch in einer
deutschen Übersetzung vorlag, führte Penn dazu aus: „Luther war
so weit entfernt, unsere einfache Sprechart zu tadeln, dass er
vielmehr in einem seiner Werke, Ludus (das Spiel), betitelt, über
den Gebrauch, einzelne Personen in der Mehrzahl anzureden, als eine
unschickliche und lächerliche Sache sich lustig macht, wo er nämlich
sagt: Magister! vos estis iratus; ‚Magister! Ihr seid unwillig’;
welches im Lateinischen ebenso abgeschmackt herauskommt, als es in
jeder anderen Sprache lauten würde, wenn man sagte: ‚Meine Herren!
Du bist unwillig’“.v
Dieses Zitat, wenn es tatsächlich von Luther sein sollte, ist
sicherlich eine Kritik ehrgeiziger Studenten gewesen, aber
keinesfalls ein allgemeiner Rat zum Duzen. Luther hatte mit
Bischöfen, Reichsfürsten und Kaisern korrespondiert und gesprochen,
aber er hat diese nicht geduzt und hätte solches auch nicht
gutgeheißen.
Was also wussten die englischen Quäker von
Martin Luther? George Fox, das sei vorausgeschickt, erwähnte Luther
in seinem Journal (Tagebuch) mit keinem Wort, allerdings auch nicht
Calvin, John Wycliff oder William Tyndale, den „englischen Luther“.
Auch in seinem Buchbestand fehlen die Werke Luthers.vi
Ansonsten äußerten sich noch James Nayler, Isaac
Pennington und Robert Barclay zu Luther. James Nayler,
ein radikaler Quäker der ersten Stunde, dürfte wohl der allererste
überhaupt gewesen sein, der in seinem Traktat „Vindication of
Truth“ schon im Jahre 1656 Luther zitierte. Er (Nayler) befand sich
damals in einer Auseinandersetzung mit Thomas Higgensons „A
testimony to the true Jesus and the faith of him“, die ebenfalls
1656 erschienen war und worin sich dieser wiederum gegen Naylors
„Love to the Lost“ gewendet hatte. Higgenson soll nun angeblich
den biblischen Abraham als exemplarischen Heiligen herausgestellt
haben, der ohne Sünde gelebt habe. Dabei berief sich Higgenson laut
Naylor auf Luther, ohne zu klären, ob berechtigter Weise oder nicht.
Er führt dazu umschweifig aus: „And
as thou (Higgenson)
begins with a lie, so thou ends, saying that I say, ‘that all the
works and measures performed by the creature in obedience to the
light within, do but all complete the one work of the creature
redemption.’ And when thou hast told this falsehood, thou sets down
a story of Luther, wherein he divides Abraham and his righteousness
as far asunder as between heaven and earth. So to answer thee and thy
story, I shall produce one plain Scripture from James 2 from the 14th
to the end of the chapter. Was not thou even now telling of being
made righteousness into thyself? and now brings a story to divide
Abraham's righteousness as far from him as heaven from earth, and
much such staggering thou makest, but the end of all is to keep
righteousness out of the door, that thy master may have liberty
within“.vii
Kurz darauf
schrieb Isaac Pennington in „An
answer to that common objection against the Quakers”
über die Protestanten. 1660 war es in England und Irland zu heftigen
Verfolgungen gegen die Quäker gekommen, die zu Hunderten starben und
zu Tausenden eingekerkert wurden. Von daher ist es nicht
verwunderlich, dass man nach „Bundesgenossen“ in der Bibel und in
der Geschichte suchte – der Typus der Quäkermärtyrers war
geboren, dem später Joseph Besse in der Zeugensammlung „A
collection of the sufferings of the people called Quakers“ ein
literarisches Denkmal setzen sollte. Pennington bezeichnete die
Lutheraner als „blessed martyrs“ und meinte, dass die Quäker
„agreeing with them in their testimony in several things, as
against deriving of a ministry from Rome (which Luther wrote against,
and John Huss prophesied
of another ministry to arise), and against maintaining the gospel
ministry by tithes, or any other way of forced maintenance, which
(till Popery grew very strong and powerful) was known to have been
free; and against swearing, &c.
“.viii
Man sieht sich in der direkten
Nachfolge der Protestanten:
„do
we suffer in this our day, even as they did in their day, from the
same spirit that persecuted them; which, though it hath much changed
its form and way of appearance, yet still retaineth the same
nature“.ix
Ob die Lutheraner einst so
friedfertige Märtyrer gewesen sind, wie sie Pennington darstellt,
sei ebenso dahingestellt wie angenommene Übereinstimmungen in der
Lehre. Für Pennington war entscheidend, dass ein gewaltfreier
Widerstand gegen klerikalen Machtmissbrauch möglich ist und dass die
Quäker hier nicht alleine stehen.
Zuletzt ist noch ein Blick in die „Apologia“
zu werfen. Die Apologie ist die erste systematische Theologie der
Quäker aus der Feder eines ihrer Hauptvertreter: Robert Barclay.
Robert Barclay wurde 1648 in Gordonstown (Gordonstoun,
Schottland) geboren und als Calvinist erzogen. Am berühmten
Schottischen Kolleg studierte er in Paris Theologie und gehörte auch
selbst bald zu den Lehrenden. 1666 schloss er sich überraschend den
Quäkern an, nachdem er in einer ihrer Andachten gespürt haben
wollte, wie in ihm das Böse schwach und das Gute mächtig wurde.
Nach seiner Rückkehr nach Nordschottland lebte er auf dem
väterlichen Landsitz Ury, wo er 1690 verstarb. Ähnlich wie William
Penn gehörte er zu den gebildeten und wohlhabenden Quäkern. 1677
war Barclay zusammen mit Penn und George Fox nach Holland und
Deutschland gereist. Dort war er in näheren Kontakt mit der
Pfalzgräfin Elisabeth, der Äbtissin von Herford, getreten, die den
Quäkern das Halten von Andachten in ihrer Abtei gestattete und sich
bei dem König von England für ihre Duldung einsetzte.
Barclays „Catechism and Confession of Faith“ erschien 1673 und
zählt bis heute zu den wichtigsten katechetischen Schriften der
Quäker. Barclay setzte sich darin für eine Hierarchie (Gospel
Order) unter den Quäkern ein, um sie von anderen egalitären
Gruppierungen, wie den Rantern oder Familisten, abzugrenzen. Sein
Hauptwerk, die bereits genannte „Theologiae Vere Christianae
Apologia“, stammte aus dem Jahre 1676. Zwei Jahre darauf übersetzte
er sie ins Englische, und bis heute wurde sie in über sechzig
Editionen gedruckt. Sie ist die wichtigste theologische Schrift des
Quäkertums, in ihr findet man eine Behandlung aller großen Fragen
der Theologie, nicht nur die des 17. Jahrhunderts. Für Generationen
machte diese Schrift das Quäkertum gegenüber den Kirchen
verständlich, da Barclay sich hier deren Sprache bediente. In der
These 15 der Apologia findet sich erstmals eine systematische
Abhandlung zentraler Anliegen der Quäker, wie dem des
Friedenszeugnisses, der Integrität, der Einfachheit, der Gleichheit
und der Gemeinschaft.
Luther erscheint in der Apologie bereits zu Beginn, wenn Barclay über
„Immediate Revelation“ schreibt. Immerhin, Barclay zitiert zwei
Mal aus Luthers Werken, freilich Passagen, die den Quäkern entgegen
kommen, nämlich, dass man den Schriftsinn nur mit Hilfe des Heiligen
Geistes verstehen könnte.x
Diese Interpretation Luthers als eine Art früher deutscher Quäker
ist aber äußerst problematisch, wie noch zu sehen sein wird.
Interessant ist eine Stelle aus der Apologie zum Predigtdienst, der
ja die Quäker besonders beschäftigte, da er den Mittelpunkt ihres
Gottesdienstes (Andacht) ausmacht. Hierzu merkt Barclay an, dass es
ein Hauptverdienst von Luther gewesen sei, die absolute Gewalt des
Priesters und sein Stellvertretertum in Frage zu stellen, und
dagegenzusetzen, dass „every good Christian (not only men, but even
women also) is a preacher.“xi
Das Zitat ist von Barclay durch Anführungsstriche hervorgehoben,
aber eine genaue Quelle gibt er nicht an. Barclay gilt nun in der
Literatur als sorgfältig arbeitender Theologe – doch freilich
haben bislang die wenigsten Leser seine Zitate auch im Original
überprüft. Ob nun Barclay das Zitat bewusst falsch setzte, oder ob
er von dritter Seite unrichtig informiert wurde, kann nachträglich
nicht mehr mit Sicherheit entschieden werden. Tatsache ist jedoch,
dass die Position Luthers zum Predigtamt nicht auf einen Satz
reduziert werden kann, wie es Barclay tut. Luther hat sich an
verschiedener Stelle immer wieder einmal zum Predigtamt geäußert,
er unterscheidet zwischen dem Alten und dem Neuen Testament, er
differenziert zwischen Normalfällen und
Ausnahmesituationen, und er kennt nicht nur Predigten, sondern
Propezeihungen, Gemeindeansprachen, spontane, vorbereitete,
öffentliche und private Predigten. Für Amtspredigten hält
Luther 1539 fest: „Was ists aber, das in diesem stück der heilige
Geist ausgenommen hat Weiber, Kinder und untüchtige Leute, sondern
allein tüchtige mans Personen hiezu erwelet (ausgenomen die not),
wie man das lieset in S. Pauli Episteln hin und wider, das ein
Bisschoff sol lerhafftig, from und eines Weibes man sein, Und .1.
Cor. 14.: ‚Weib sol nicht leren im Volck’. Summa, es sol ein
geschickter, auserwelter man sein, dahin Kinder, Weiber und ander
Personen nicht tüchtig, ob sie wol tüchtig sind, Gottes wort zu
hören“ etc.xii
Luther vertritt also genau die entgegengesetzte Position, als wie es
Barclay behauptet. Barclay seinerseits möchte Luther für das
weibliche Predigtamt einspannen.
Es ist bemerkenswert, dass in der Auseinandersetzung mit Barclay, die
ja in die Hochphase der Antiquakeriana fiel, derartige
Unstimmigkeiten gar nicht weiter auffielen, denn die meisten
lutherischen „Streittheologen“, wie sie sich stolz nannten,
machten sich offensichtlich kaum die Mühe, die Quellen ihrer Gegner
näher zu überprüfen, da von ihnen ohnehin angenommen wurde, dass
sie falsch seien müssten.
Dass übrigens diese Position Luthers von 1539 frühzeitig feststand,
zeigt ein Blick in eine weitere Predigt Luthers knapp zwanzig Jahre
zuvor: „Seitemal wir nun allen gewalt haben zu predigen, die do
Christn sein, was wil den hie werden, denn die weyber werden auch
predigen wollen. Neyn, sant Paulus verbeut das, wenn sich ein weyb
hervor wolt thun in versamlung der menner tzu predigen, und spricht,
sie sollen iren mennern untertanig sein“.xiii
Ohne es hier weiter ausführen zu können: Luther ist sicherlich
nicht der Urvater der predigenden Frauen bei den Quäkern.
Da die frühen Quäker verstärkt in
Norddeutschland missionierten, kam es hier zu einem
Aufeinandertreffen von Luthertum und Quäkertum. Freilich befanden
sich beide Bewegungen in einem völlig anderem Zustand: das Quäkertum
war eine junge, optimistische Bewegung, das Luthertum hatte gerade
den Dreißigjährigen Krieg überstanden und befand sich in den
Jahren nach dem Westfälischen Friedensschluss ganz im Fahrwasser der
Konfessionalisierung. Feste Formen, ob in Liturgie, in der
Alltagskultur oder in den Institutionen bildeten sich heraus, die den
eher „formlosen“ bzw. undogmatischen Quäkern diametral
entgegenstanden. Schon vor dem ersten tatsächlichen Zusammentreffen,
zu denen es in der Praxis ja kaum kam, stand für die lutherischen
Gelehrten fest, dass die Schwärmer, die Täufer, ja der Teufel
selbst auferstanden sei und bekämpft werden müsste. In diesem Kampf
war Gewalt, legitimiert durch die heute noch bestehende Confessio
Augustana (Art. 5: Verdammung derjenigen, die den Geist ohne die
Schrift erlangen wollen) und (Art. 16: Verdammung der
Kriegsdienstverweigerer) selbstverständlich mit eingeschlossen. Es
gibt zahlreiche Beispiele von Gewaltexzessen, die die pazifistischen
Quäker fein säuberlich niederlegten, da unter ihnen gewissermaßen
derjenige die höchste Ehre genoss, der die härtesten Verfolgungen
überstanden hatte.xiv
Das hatte sogar zur Folge, dass Gewaltexzesse geradezu provoziert
wurden, um sich im Selbstbild einer um Christi Zeugnis willen
verfolgten Gemeinschaft zu bestätigen.
Es lässt
sich zeigen, dass Positionen wie
die von Pennington, die also das
Luthertum als toleranten, pazifistischen (!) Vorläufer des
Quäkertums betrachten, von den deutschen Gemeinden strategisch
eingesetzt wurden, und vielleicht auch tatsächlich geglaubt wurden.
In Friedrichstadt beispielsweise wurden immer wieder
zugereiste und konvertierte Quäker auf Anweisung des Herzogs
ausgewiesen. In einem Schreiben an diesen beriefen sie sich
ausgerechnet auf Martin Luther, „denn sein Zeugnis war gegen den
Gewissenszwang“.xv
Ob freilich nun solches Berufen auf Luther aus der echten Überzeugung
geschah, dieser sei der Urvater der Gewissensfreiheit, oder ob nicht
viel eher die Quäker sich aus strategischen Gründen ein Lutherbild
zurechtlegten, dass den tatsächlichen Gegebenheiten nicht stand
hält, kann man nicht mehr entscheiden. Fest steht jedoch, dass
Luther sich sicher nicht für die Gewissensfreiheit der Quäker
eingesetzt hätte, sondern vielmehr gegenüber dieser Gruppe, wie
auch für die „Schwärmer“ oder Täufer, der Todesstrafe das Wort
geredet hätte.
Daher musste die ablehnende Reaktion nicht nur der Geistlichkeit,
sondern auch der deutschen Bevölkerung bei den Quäkern einen
Ernüchterungsprozess verursacht haben. Ursprünglich ging man
tatsächlich davon aus, man müsste den Deutschen nur vom Inneren
Licht erzählen, und es würde zu Massenbekehrungen kommen. Die
Naivität ging so weit, dass einige der ersten enthusiastischen
Prediger nicht einmal die Landessprache erlernten und es überhaupt
keine Koordination oder Lenkung der Missionsreisen gab, was dazu
beitrug, dass die deutschen Quäkergemeinden zu keiner Zeit wirklich
prosperierten.
Quietismus
Als dann den Quäkern in der zweiten Generation klar wurde, dass sich
ohne eine gewisse Professionalisierung und Institutionalisierung
nicht überdauern ließ, befand man sich bereits in der Phase des
Quietismus. Im 18. Jahrhundert betrachtete man Quietismus als eine
introspektive Haltung und Konzentration auf sein Seelenleben, heute
wird der Begriff für Erstarrung in Formalismen und fehlende Mission
nach Außen gebraucht. Fest steht, dass die Kontakte zwischen Quäkern
und Lutheranern gegen Null gingen: in Deutschland allein aufgrund der
Tatsache, dass es bis in die 1790er Jahre keine Quäkergemeinden gab,
und in England und den USA aufgrund strenger Regularien, die es
Quäkern untersagten, die Gottesdienste der Lutheraner zu besuchen,
ihre Kinder bei Lutheranern zur Lehre zu geben oder lutherische
Bücher zu lesen. Den Höhepunkt aber auch Schlusspunkt dieses
Abschottungswahns bildete die Regelung, dass Quäker nur
untereinander heiraten durften. Die erscheint nun als nichts
besonderes, sondern galt in der Frühen Neuzeit für viele
christliche Gemeinschaften – doch bei den zahlenmäßig
verschwindenden Quäkern führte es zu Ehelosigkeit, heimlichen
Hochzeiten und selbst vor Inzucht (Cousinenehe/Ehe ersten Grades)
wurde nicht zurückgeschreckt.
Evangelikalismus
Der Quietismus wurde durch mehre Wellen religiöser Erweckung
unterbrochen und abgelöst. Das evangelikale Quäkertum tritt im
Laufe des 19. Jahrhunderts auf den Plan. Innerhalb dieser Richtung
des Quäkertums wird wieder Wert auf Mission gelegt; insbesondere die
Quäkergemeinden Afrikas sind ein Resultat dieser Richtung. Dieses
evangelikale Quäkertum sieht sich, wie aber alle anderen Richtungen
des Quäkertums auch, in der legitimen Nachfolge von George Fox. Für
Evangelikale besteht „wahres” Quäkertum eben nicht darin, eine
starre Tradition zu formulieren und heute noch Andachten abzuhalten
wie vor 350 Jahren – was am allerwenigsten George Fox gewollt
hätte. Vielmehr sei das Entscheidende das Hören auf den Willen
Gottes in der Zeit, und dieser habe den Quäkern nun zum Ausdruck
gebracht, es sei an der Zeit für ein neues Sakramentsverständnis,
für Kirchemusik und für bestellte Pastoren. Es fällt schwer, einen
quäkerischen Gottesdienst der evangelikalen Richtung von einem
Gottesdienst der Lutheraner zu unterscheiden. Und in der Tat kam es
nun zu ökumenischen Annäherungen, die Quäker und Lutheraner in den
USA bei karitativen, aber auch infrastrukturellen Fragen
zusammenarbeiten ließ. Das war der Fall bei den gemeinsam
durchgeführten Wiederaufbauprogrammen nach dem Sezessionskrieg und
während der Hilfstätigkeit in und nach beiden Weltkriegen. Beide
Richtungen näherten sich mehr und mehr an, bzw. das Quäkertum wurde
dem Luthertum immer ähnlicher, während man Umgekehrtes ja nicht
behaupten kann.
Nur durch diese Entwicklungen, deren
Erforschung im Einzelnen größtenteils noch aussteht, ist der
„Luthertourismus“ der angloamerikanischen Quäker zu erklären.
Die Reiselust der Engländer im 19. Jahrhundert war bekanntlich
sprichwörtlich: sowohl die Wartburg als auch die Franckeschen
Stiftungen standen auf der Liste der Sehenswürdigkeiten ganz oben.
Stephen Grellet, ein bedeutender US-amerikanischer Quäker
evangelikaler Couleur, besuchte 1832 nicht allein Berlin, sondern
auch Wittenberg, Halle, Weimar sowie Leipzig und schreibt ausführlich
darüber.xvi
Elisabeth Fry, die wichtigste Missionarin des Quäkertums im 19.
Jahrhundert, erlebte Wittenberg als einen Höhepunkt ihrer
ausgedehnten Deutschlandreise. Damals war es noch möglich, sich auf
den Stuhl zu setzen, auf dem Luther einst gesessen haben soll.
Derartige direkte Kontakte ermöglichten eine Authentizität und ein
Sich-Verbunden-Fühlen mit Luther, das in dieser Form freilich für
die Masse der heutigen Touristen nicht mehr erlebbar ist. Wittenberg
beeindruckte Fry derart, dass sie sogar plante, ihre Tour nach den
Luther-Sehenswürdigkeiten auszurichten.xvii
Ob und was man vom Luthertum verstanden hatte, ist aus diesen
Berichten kaum zu entnehmen. Die Quäker des 19. Jahrhunderts, die ja
längst nicht mehr zu Verfolgten zählten, sondern die ganz im
Gegenteil auch im Ausland als Vertreter einer Weltmacht wahrgenommen
wurden, die den halben Globus versklavt hat, hatten längst ihren
Frieden mit Luther und dem Luthertum gemacht. Schon aus bloßer
Höflichkeit hätten Fry oder Grellet, die ja als weltgewandte
Diplomaten moralisch hehrer Ziele die Welt umreisten, ohne sich um
den eigenen Lebensunterhalt sorgen zu müssen, niemals eine
ernsthafte Kritik an Luther gewagt.
So wurde zu dieser Zeit von Seiten der Quäker auch betont, dass
Übersetzungen der Schriften Luthers einen Einfluss auf das
Frömmigkeitsleben Englands gehabt hätten – was vermutlich auch
vorher niemand in Abrede gestellt hat.xviii
Innerhalb des evangelikalen Quäkertums wurde auch der bis heute
direkte Vergleich von Fox und Luther vorgelegt, nämlich von Cyrus
Harvey’ „An historical parallel. Or, George Fox and Martin
Luther as reformers“ (Baxter Springs 1878).
Höhepunkt freilich war die Apotheose Luthers als biblische
Heiligengestalt. Ein gewisser Dougan Clark stellte Luther – aber
auch George Fox – neben Moses, Silas und Paulus: „Such an one was
Moses, whose face ‚shone’ with the reflected radiance of
Jehovah’s glory; such were Paul and Silas when the unwilling demon
was compelled to acknowledge ‚these are the servants of the Most
High God;’ such was Martin Luther when he exclaimed with holy
boldness, ‚I would go to Worms though there were as many devils as
tiles on the houses;’ such a man was George Fox when he exclaimed,
‚I am sanctified, for I am in the paradise of God.“xix
Dougan Clark ist auch heute wenig bekannt. Wenn man das evangelikale
Quäkertum verstehen möchte, muss man sich mit dieser Person, seinen
Positionen und Schriften auseinandersetzen. Clark wurde 1828 in
Randolph County (North Carolina) als Sohn der einflussreichen Quäker
Dougan Sen. und Asenath (geb. Hunt) Clark geboren. Er studierte ab
1855 an der University of Maryland Medizin und graduierte 1861 an der
University of Pennsylvania. Ab 1866 war er „Professor“
(Lehrkraft) für Altphilologie am Earlham College und unterrichtete
Griechisch und Hebräisch, ab 1869 praktizierte er als
Allgemeinmediziner in Richmond (Indiana). 1884 richtete er am Earlham
College das Fach Bibelkunde ein und unterrichtete Latein, Griechisch
sowie Theologie. 1888 wurde er Professor für Theologie und
Bibelkunde. Im Laufe der Jahre näherte er sich immer mehr der
evangelikalen Richtung des Quäkertums an und machte Earlham College
zu dem was es heute (unter anderem) ist: die wichtigste
Ausbildungsstätte für Quäkermissionare und Quäkerpastoren.
Clark war maßgeblich beeinflusst von der Holiness-Bewegung. Sein
Werk „The Offices of the Holy Spirit” wurde seit 1878 mehrfach
aufgelegt und fehlte in keiner Missionsstation, von Japan bis Mexiko.
Ab 1883 gab er das Bekehrungsblatt „Gospel Expositor“ heraus.
1893 war es soweit: auf dem oder kurz nach dem Ohio Yearly Meeting
(einem jährlichen Treffen der Quäker Ohios) unterzog er sich der
Wassertaufe, die ihm ja selbst als geborenen Quäker erspart
geblieben war. Dieses Ereignis verursachte unter den Quäkern
Auseinandersetzungen und tiefgehende Spannungen, die letztlich bis
heute bestehen. Clark selbst verstarb nur drei Jahre darauf 1896 an
einer Lungeentzündung, sein Werk wurde jedoch fortgeführt und
mündete in das, was heute „Evangelical Friends International“
ist, eine der drei großen Hauptrichtungen der Quäker in den USA
(neben Friends General Conference und Friends United Meeting).
Im Kontext des evangelikalen Quäkertums stellte sich die
Gewissensfreiheit, die ja der eigentliche Kern der Quäkerlehre, die
nie das Heil durch Zeremonien oder Liturgien vertrat, neu. David
Duncan (1839-1871), ein Quäker aus Manchester, rief bei seinen
Glaubensgenossen in Erinnerung, dass die frühen Reformatoren sich
für die Gewissensfreiheit in göttlichen Angelegenheiten stark
gemacht hätten.xx
Während aber Huss, Luther und Calvin die „Supremacy of any
eccleiastical authority in persons“ durchweg ablehnen würden (was
so sicher überspitzt formuliert ist), hätten sie unglücklicher
Weise die Autorität auf ein Buch, die Bibel, übertragen und damit
dem Biblizismus, gar die Bibliolatrie, befördert, der dann dem
Protestantismus über Jahrhunderte geschadet hätte. Freilich erlitt
Duncan selbst das Schicksal der Reformatoren, wurde er doch
schließlich wegen seiner liberalen Einstellung und seiner Ablehnung
der Bibel als höchste Autorität angegriffen und schließlich vom
Hardshaw East Monthly Meeting ausgeschlossen.xxi
Das zeigt, wie stark das englische Quäkertum inzwischen vom
Evangelikalismus ergriffen war und rigoros gegen vermeintliche oder
tatsächliche Abweichler vorging. Doch diese (evangelikale) Richtung
hatte schon längst ihren Zenit überschritten, denn langsam aber
kontinuierlich machte sich eine neue Richtung bemerkbar: das liberale
Quäkertum. Seine Geburtshelfer waren der Engländer John Wilhelm
Rowntree (1868-1905) und der Amerikaner Rufus Jones (1863-1948).xxii
Wäre Duncan nur eine Generation später auf die Welt gekommen, wäre
er unter Braithwaite und Jones als Vertreter des „echten“,
nämlich des liberalen, Quäkertums hoch geschätzt worden.
Liberales Quäkertum
Das liberale Quäkertum orientiert sich wieder stärker an die ersten
Quäker, aber in ihrer Erscheinungsform nach 1688 (also nach dem Act
of Toleration). Bestandteile waren und sind: Spirituelle Erfahrung
ist wichtiger als die Bibel, die als historisches Buch verstanden
wird, liberale Ausrichtung in Politik und Sexualmoral, sowie starker
Drang, in der Welt zu wirken, allein, mit der Quäkergemeinschaft
oder in ökumenischen Zusammenhängen.xxiii
Mit dem liberalen Quäkertum komme ich
in das 20. Jahrhundert und auch wieder nach
Deutschland, denn gerade hier fand ein intensiver Austausch zwischen
liberalem Quäkertum und lutherischer Theologie und Lebenswelt statt.
Bis heute ist in der wissenschaftlichen Wahrnehmung wenig bekannt,
dass eine ganze Reihe mehr oder weniger bedeutender Theologen sich
ganz oder zeitweise den deutschen Quäkern angeschlossen hatte.xxiv
Es waren fast immer Lutheraner, und zwar nicht zufällig Lutheraner,
sondern Theologen, die ihr Fach unter konfessionellen Vorzeichen
studiert hatten:
-Hermann
Mulert (1879-1950), Professor für
Systematische Theologie.
-Rudolf
Schlosser (1880-1944), praktischer Theologe, zeitweise Mitarbeiter
von Friedrich von Bodelschwingh (1831-1910) in Bethel.
-Margarete
Geyer (1885-1952), eine der ersten weiblichen Theologinnen, studierte
u.a. in Göttingen, Leipzig und Halle.
-Heinz
Kappes (1893-1988), Mitbegründer der Gesellschaft für
Christlich-Jüdische Zusammenarbeit.
-Gertrud
von Petzold (1876-1952): erste
Frau, die in Deutschland in einer Kirche öffentlich predigte (1911
in Bremen).
-Ruth
Elsner von Gronow (1887-1972): Theologin und Quäkerin, die über
viele Jahre biblische Seminare leitete und als Quäkerin das Neue
Testament übersetzte (bis heute nicht veröffentlicht).
und
Heinz Röhr (1931-2005), Professor für Religionswissenschaft
an der Frankfurter Goethe-Universität.xxv
Diese Personen haben zumindest gemeinsam, dass
sie sich alle im Laufe ihres Lebens mit Martin Luther
auseinandergesetzt haben, wissenschaftlich zumindest dann, als diese
Personen ihr Theologiestudium durchliefen. Von daher dürfen wir auch
vermuten, dass diese Personen Luther oder dem Luthertum zumindest so
positiv gegenüber eingestellt waren, dass sie in der evangelischen
Landeskirche ihren Berufs- und Lebensmittelpunkt sehen konnten. Und
ein Drittes: alle diese Personen haben sich aus der Landeskirche in
soweit wieder gelöst, dass sie bereit waren, mit dem Quäkertum
einer Glaubensgemeinschaft beizutreten, die damals noch diametral
andere als Lutherische Positionen vertrat, man denke nur an die
Eidfragexxvi
oder den Pazifismus.
Die genannten Personen wussten sehr genau, was sie hinter sich
ließen, wenn sie aus der Evangelischen Landeskirche austraten. Ob
sie wussten, in welche Gemeinschaft sie mit dem Quäkertum eintraten,
ist weniger sicher. Die Deutsche Jahresversammlung wurde erst 1925
gegründet und befand sich schon ab 1933 in ganz erheblichen
Schwierigkeiten. In den wenigen Jahren hatte sich zwar ein
persönliches Beziehungsgeflecht der Mitglieder untereinander
herausgebildet, aber inhaltliche Fragen, die die für Deutschland
neue Religion betrafen, wurden kaum ausdiskutiert. Man darf zudem
nicht vergessen, dass es in Deutschland keine Hochschulen oder
andersartige Bildungseinrichtungen der Quäker gab – Inhalte
mussten und müssen auch heute noch im Selbststudium erworben werden,
was zunächst vor allem auch dadurch erschwert war, dass ja die
gesamte moderne Quäkerliteratur erst einmal in einer fremden Sprache
vorlag.
Da sich nach einer „heißen“ Anfangsphase eine pragmatische
bürgerliche Fraktion gegen die Sonne anbetende Lebensreformer,
politisch fanatische Religiöse Sozialisten, unpolitische Ästheten
und weltfremde Mystiker durchsetzte, baute das Quäkertum auf
Integration statt auf Konfrontation. Das betraf vor allem das
Verhältnis mit anderen Religionsgemeinschaften, wo es zu keinerlei
Konflikten kam. Inhaltlich hätte es diese mit dem Luthertum in
seiner Form bis 1945 natürlich geben (unterschiedliches Tauf- und
Abendmalverständnis, das Problem der Doppelmitgliedschaft, die Frage
der Frauenpredigt, u.a.). Dass diese Fragen letztlich nicht geklärt
wurden und dass sich das Quäkertum letztlich konsolidierte, war
neben dem jahrzehntelangen Schreiber (Vorsitzenden) Hans Albrecht
einer integrativen, konzilianten Persönlichkeit zu verdanken: Emil
Fuchs.
Emil Fuchs
Kein Quäker – wohl weltweit – hat sich so intensiv wie Emil
Fuchs mit Martin Luther wissenschaftlich, aber auch
pseudowissenschaftlich auseinandergesetzt. Zu unterschiedlichen
Zeiten präsentierte Fuchs seinen Lesern ein ganz unterschiedliches
Lutherbild. 1917 erschien „Luthers deutsche Sendung“. Es handelt
sich dabei um eine rassistisch untersetzte Deutschtümelei zum Zweck
der Kriegspropaganda, wie sie von kirchlicher Seite in jenen Jahren
massenweise erschienen – was keinesfalls als Entschuldigung
herangezogen werden darf, denn es gab immer auch andere, die ihre
Stimme gegen den Krieg erhoben. Emil Fuchs war nicht darunter.
„Luthers deutsche Sendung“ ist nicht etwa um die Doktorarbeit von
Fuchs, sondern eine Dankesschrift eigens für die Verleihung der
Doktorwürde an seine Lehrer Ferdinand Kattenbusch (1851-1935), dem
Begründer der Konfessionskunde, an den Alttestamentler Bernhard
Stade (1848-1906) und an Paul Drews (1858-1912), Professor für
Praktische Theologie an den Hochschulen in Jena, Gießen und Halle.
Die Franzosen werden in der Schrift als elegant, die Engländer als
weltgewandt, die Deutschen dagegen als plump und derb charakterisiert
– plump und derb eben, wie es Martin Luther gewesen sein soll. Für
ihn, den Deutschen an sich, wie für Martin Luther, gelten keine
(weltlichen) Gesetze, und schon gar nicht das Völkerrecht, sondern
er folgt allein seinem innerem Gesetz, seinem Gewissen.xxvii
Mit diesem höherwertigen, inneren Gewissens-Gesetz rechtfertigt
Fuchs dann die Angriffskriege gegen Nachbarstaaten wie Belgien
(Schlieffen-Plan). Denn: „Der deutsche Staatsmann und der deutsche
Feldherr mußten Deutschland retten, ob Belgien auch darüber
zugrunde gehen sollte. Sündige immerhin! Wisse aber, daß du nicht
sündigen kannst, wenn du glaubst und liebst“xxviii
– mit derartigen Lutherzitaten wurden also von Fuchs Angriffskriege
gerechtfertigt, die abertausenden Soldaten das Leben kosteten und für
Deutschland genau das Gegenteil von dem, was es erwartet hatte,
einbrachte. So findet man bei Fuchs genau jene Parolen, die ab 1933
so verhängnisvoll wirken sollten: Er spricht vom Daseinskampf, von
deutscher Sendung im Osten und immer wieder von einem starken Führer
und seiner Volksgemeinschaft.
Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Fuchs, der zu diesem Zeitpunkt
natürlich noch kein Quäker war, die es in Deutschland 1917 ja noch
nicht gab, hatte immerhin gewisse Kenntnisse des Quäkertums. Das hat
einen biographischen Hintergrund: Von 1902 bis 1903 war Fuchs Vikar
an einer deutschen Gemeinde in Manchester und lernte vermutlich dort
Quäker kennen. Für Fuchs sind nun ausgerechnet Quäker wie George
Fox, John Woolman und Thomas Ellwood die Vertreter der deutschen
Kultur in England (!). Denn: England würde Reformen mit Gewalt
durchsetzen, Deutschland hingegen durch Erziehung. Und genau dieses
täten die Quäker: Herbeiführung von Reformen auf friedlichem Wege.
Dabei zitiert er ein ganz randständiges Beispiel, die Quäkerkleidung
bzw. Quäkeruniform (die Ellwood und Fox freilich noch gar nicht
kannten, was Fuchs übersieht). Fox diente ihm dabei als Vertreter
einer Reformerpädagogik: „Schließlich ist die ganze Lebensreform,
die George Fox erstrebte, eine ästhetische Reform“xxix
und Fox wird zum Urvater des Dürerbundes, des Wandervogels und der
Reformkleidung. Immerhin kannte Fuchs zu diesem Zeitpunkt das Journal
(Tagebuch) von George Fox, aus dem er mehrfach zitiert.xxx
Es ist vor allem George Fox als Enthusiast, für den sich Fuchs
interessiert, und worin er, zu Recht, einen ganz ähnlichen Wesenszug
Luthers feststellt. Der entscheidende Unterschied liegt freilich
darin, dass Luther in Visionen oder Auditionen, die er ja durchaus
aus eigener Erfahrung kannte, keine göttlichen Einwirkungen sehen
kann, sondern sie ganz im Gegenteil als Instrumente des Bösen, des
Teufels, deutete. Vor allem doch deswegen stand er denjenigen
kritisch gegenüber, die man verächtlich „Schwärmer“ nannte.
Wie geht es nun weiter mit Emil Fuchs? 1918 war auch für ihn ein
Schock – ein Umdenken setzte ein, Fuchs wird Sozialist, Marxist und
auch Quäker. Er verliert 1933 seine Arbeit und widmete sich der
Berliner Quäkergemeinde und seinen Forschungsstudien. In der
Zeitschrift „Quäker“ erschien von Fuchs im Jahre 1937 ein
blasser Vergleich, der die Erlösungskonzepte von Luther und Fox
wertneutral gegenüberstellt, ohne für das eine oder andere zu
plädieren, nicht einmal in Form rein persönlicher Präferenz.xxxi
1939 verteidigte er sein Bild eines liberalen Luther in einer
durchaus scharfen Rezension von Otto von Taubes gerade erschienenen
„Wirkungen Luthers“, in dem der Verfasser ein Lutherbild
entwirft, dass sich problemlos in die nationalsozialistische
Ideologie einfügt, Untertanenpflichten begründet, Zivilcourage
verwirft. Fuchs spricht dabei nur am Rande gegen Luther, sondern
betont das neue Schriftverständnis Luthers, dessen Radikalität
allerdings später durch die Auseinandersetzung mit den Täufern und
christlichen Mystikern zurückgenommen wurde.xxxii
Kurz darauf, 1942, unmittelbar vor dem Verbot der Zeitschrift „Der
Quäker“ (in der viele Artikel von Fuchs erschienen), wurden sogar
Lutherworte zur persönlichen Erbauung abgedruckt, freilich etwas
andere, als man sonst zu dieser Zeit in der deutschen Öffentlichkeit
hörte. Es sind die Zitate, die Luther als geistigen bzw. geistlichen
Vorläufer der quäkerischen Auffassung vom Verhältnis des inneren
zum äußeren Wort erscheinen lassen, etwa: „Wenn sie sich auf die
Schrift berufen gegen den Herrn Christus, so berufe ich mich auf den
Herrn Christus gegen die Schrift“.xxxiii
Unmittelbar vor diesen Zitaten wird eine Vorlesung von Emil Fuchs
wiedergegeben, und es ist zu vermuten, dass auch die Lutherworte von
niemand anders zusammengetragen worden sind als von Emil Fuchs.xxxiv
Wie aber erklärt sich diese neue Lutherverehrung der Quäker, die es
vorher so nicht gab, und die auch nach 1945 nicht fortgesetzt wurde?
Mit Beginn des Krieges waren die deutschen Quäker von ihren
angloamerikanischen Glaubensgenossen abgeschnitten und isoliert. In
ihrer Not begannen sie sogar, in Andachten wieder das Singen
einzuführen und lange Predigten zuzulassen. Zum einen scheinen die
sozialen und mentalen Prägungen, die die meisten deutschen Quäker
Jahrzehnte erfahren hatten, stärker gewogen haben als die wenigen
Jahre Quäkertum. Zum anderen öffnete man sich unter den Drangsalen
der Zeit der lutherischen Kirche und wollte anstatt konfessioneller
Differenzierung und Eigenständigkeit mehr Solidarität und
ökumenische Gemeinschaft.
Es wurde erwähnt, dass Fuchs während des Dritten Reichs eine
Vielzahl von Manuskripten verfasste. Aus verschienen Gründen ist bis
heute der größte Teil ungedruckt und lagert im Archiv der Deutschen
Jahresversammlung. Erst 2006 konnte zumindest eine dieser Manuskripte
in einer Edition vorgelegt werden. Sie trägt den etwas merkwürdigen
Titel: „George Fox. Seine Botschaft, sein Wesen und sein Leben nach
seinen eigenen Denkwürdigkeiten dargestellt“xxxv
– ein Titel, den noch Emil Fuchs seiner Schrift gegeben hat. Fuchs,
der zwar schon 1917 von „dogmatische(r) Rechthaberei bei Luther“xxxvi
sprechen konnte, steigerte sich hier zu „Luthers Irrtum“ und
beantwortete die Frage zur Zwei-Reiche-Lehre ganz im Sinne von Fox:
„Denn wer an Gott glaubt und seine Stimme und sein Wort, muss
glauben, dass er selbst sein Volk recht führen wird, und wir nicht
seine Führung zu ergänzen haben durch irgend eine Autorität, die
wir uns ausdenken“.xxxvii
Eine andere zentrale Frage, die Fuchs als Theologen beschäftigte,
war die nach einem direkten Zugang des Menschen zu Gott. Hier stellte
Fuchs interessante Vergleiche zwischen George Fox und Martin Luther
an, die beide ganz ähnliche Erfahrungen gemacht hätten, jedoch
unterschiedliche gesellschaftliche Konzeptionen daraus entworfen
hätten.xxxviii
Fuchs selbst konnte beides miteinander vereinen: englisches Quäkertum
und lutherischen Protestantismus. Nicht zuletzt ist sein Leben auch
ein Zeugnis, wie sehr sich die christlichen Richtungen, die sich zu
Zeiten von George Fox noch blutig und unversöhnt gegenüberstanden,
inzwischen im Zeichen der Ökumene angenähert und verständigt
haben. Fuchs konnte jedoch mit seiner Schlussfolgerung „Luthers
Irrtum“ nicht an die Öffentlichkeit der Quäker gelangen, da sein
Manuskript zu George Fox erst über fünfzig Jahre später gedruckt
wurde.
Nach 1945 kam es nochmals zu entscheidenden Ereignissen im Leben von
Emil Fuchs. Nach zwölfjähriger Dauerarbeitslosigkeit kam er
praktisch über Nacht zu einem angesehenen theologischen Lehrstuhl.
Als Verehrer Stalins hatte sich Fuchs bewusst für ein Leben im
„besseren Deutschland“ entschieden. Fuchs lebte und arbeitete nun
in Leipzig, und wenn es auch keinen direkten Beweis dafür gibt, darf
man durchaus annehmen, dass Fuchs wusste, wer hier im Sommer 1519 auf
der Pleißenburg disputiert hatte.xxxix
Verständlicher Weise war für den jetzigen Theologieprofessor die
Lehre Martin Luthers ebenso wichtig wie einst für den Quäker im
passiven Widerstand. Denn wie wäre es zu erklären, dass sich gleich
zwei Beiträge in seiner Festgabe zum 90. Geburtstag mit Martin
Luther beschäftigen?xl
Es sind Ingetraut Ludolphy, Historikerin zur Theologiegeschichte der
Reformationszeit, mit einem Beitrag zum Begriff „potentia absoluta“
und Pfarrer Erdmann Schott zu „Luther als Friedensstifter“,
insbesondere zu Confessio Augustana 16: „Von der Polizei
(Staatsordnung) und dem weltlichen Regiment“. Bemerkenswert ist,
dass in diesen wie auch in anderen Beiträgen der Festschrift
natürlich auf Emil Fuchs Bezug genommen wird, der sich ja in seinem
Oeuvre inzwischen mehr als zwanzig Mal mit Luther auseinandergesetzt
hatte, aber an kaum einer Stelle Fuchs quäkerisches Denken
hervorgehoben wird. Ist es die Ignoranz lutherischer Theologen, sich
Fuchs gewissermaßen so zurechtzuschustern, bis er
theologisch-korrekt verortet werden konnte? Oder hat Fuchs, der ja in
der Nachkriegszeit am Gemeindeleben der Quäker zunächst kaum,
später gar nicht mehr teilnahm, von seinem Quäkertum selbst nichts
mehr wissen wollen? Diese oder andere Fragen können wohl erst
beantwortet werden, wenn das Desiderat „Biographie Fuchs“ endlich
einmal angegangen wird – hoffentlich von einer Persönlichkeit, die
im Luthertum wie im Quäkertum gleichermaßen versiert ist.
Jedenfalls war Fuchs dem Reformator gegenüber weitaus kritischer
eingestellt, als es die Festschrift glauben machen möchte. Kurz
darauf, 1966, erschien eine Arbeit von Fuchs, die mit dem Titel
„deutsche Schicksalsgestalt“ andeutet, dass hier kein
grundsätzlicher Bruch zu seinen früheren Arbeiten zu Luther
vorliegt. Auf diese geht er ausführlich ein, freilich aber nicht auf
sein Erstlingswerk „Luthers deutsche Sendung“, die er seinem
sozialistischen Publikum wohlweislich verschweigt und vielmehr um ein
Lutherbild im Einklang mit dem historischen Materialismus bemüht
ist. Im Gegensatz zu früher unterscheidet er jetzt zwischen einem
jungen, sozialrevolutionären und einem alten, obrigkeitsdoktrinären
Luther. Er trennt auch zwischen dem Reformator und dem Theologen
Luther: Währen der erstere die Seele befreit habe, hätte der zweite
der Obrigkeit die Gestaltung der Welt zugeschrieben.xli
So meint er: „Zum Unterschied von der Mehrheit der Lutherforscher,
die den sozialen Hintergrund und Kontext für die Entwicklung Luthers
und die Ausformulierung seines Denkens nur unzulänglich
berücksichtigen, hat in besonderer Weise die Rolle Luthers als
Wegweiser auch im sozialen Umbruch immer im Mittelpunkt meiner
Aufmerksamkeit gestanden“xlii
– doch hier muss man hinter solchen biographischen Konstruktionen
ein Fragezeichen setzen. Fuchs hat sich mit Karl Barths
Römerbrief-Auslegungen auseinandergesetzt wie mit dem Lutherbild
Kattenbuschs, Holls oder Fricks, aber er hat nicht
kirchengeschichtlich gearbeitet, und schon gar nicht
historisch-kritisch.
Schluss
Was kann man heute, kurz vor dem halbtausendjährigen Lutherjubiläum
zum gegenseitigen Verhältnis beider Gemeinschaften sagen? Zunächst
gilt für den deutschen Raum weiterhin das Paradoxon: ohne Luthertum
(bzw. evangelische Kirche) kein Quäkertum. Denn: Die ganz
überwiegende Zahl der deutschen Quäker stammt aus der evangelischen
Landeskirche oder besitzt die Doppelmitgliedschaft. Dann muss man
aber auch sagen: das Interesse an Luther und an Fox ist etwa gleich
hoch, bzw. niedrig, nämlich äußerst gering. Zum einen kann man das
daran ermessen, dass diese Personen in den Publikationen der
Deutschen Jahresversammlung heute so gut wie nicht existieren, und
wenn doch einmal, dann mit dem Beigeschmack des Folkloristischen, des
Überwundenen, des irgendwie Unpassenden. Häufiger hört man die
nicht so falsche Aussage: Fox würde heute sicher nicht Mitglied bei
den Quäkern sein. Nur bei genauem Hinhören drücken sich aber in
dieser Sentenz zwei ganz unterschiedliche Meinungen aus: zum einen
plädieren Mitglieder dafür, Fox gewissermaßen in der „Mottenkiste“
zu belassen und das Quäkertum als eine moderne Religionsbewegung zu
verstehen, die sich immer wieder neu finden und erfinden muss. Zum
anderen drückt die Sentenz eine Kritik am heutigen Quäkertum aus,
nämlich in dem Sinne, dass Fox sich heute dem Quäkertum nicht mehr
anschließen würde, weil dieses sich vom (echten) Quäkertum
entfernt hätten.
Luther wird für die wenigen deutschen Quäker aber weiterhin ein
Thema bleiben, wenn sich ein neues Interesse an theologischen Fragen
entwickelt. Wie dargestellt, hat sich das Quäkertum in den letzten
Jahrhunderten ja immer wieder gewandelt, vom frühen Quäkertum zum
Quietismus, zum Evangelikalismus und liberalen Quäkertum. Diese
Entwicklung ist lange noch nicht abgeschlossen, und gerade eine sehr
kleine Gemeinschaft kann von nur sehr wenigen Personen schnell in
ganz neue Richtungen gebracht werden. Die wenigen Theologen unter den
deutschen Quäkern waren meinungsbildend und haben dem deutschen
Quäkertum erst ein Gesicht gegeben. Sie haben ihm zudem eine gewisse
Professionalität verliehen, die die negativen Auswüchse einer
reinen Laienbewegung abmilderten. Gleichzeitig waren sie Brückenbauer
zu den anderen Konfessionen, nicht ausschließlich nur zum Luthertum.
Ohne sie wäre das Quäkertum noch unbekannter als ohnehin, und ohne
sie hätten viele Quäker theologische Impulse und Fragen nie
erhalten bzw. nicht kennen gelernt.
Wurde in der Vergangenheit das Quäkertum vom Luthertum geprägt, so
scheint sich nun das Verhältnis umzukehren. Inzwischen sind selbst
viele Lutheraner Pazifisten, basisdemokratische Entscheidungen
setzten sich in den Kirchen mehr und mehr durch, Frauen können
selbst als Bischöfinnen gestalterisch in der Kirche mitwirken, und
auch Teile der Confessio Augustana, die von den Quäkern immer als
problematisch gesehen wurde, sollen abgeschafft werden. Die Impulse
dazu kamen jedoch nur zum Teil von den Quäkern, sondern sind
gesamtgesellschaftliche Veränderungen, die sich auch in anderen
Freikirchen feststellen lassen. Das liberale Luthertum ist heute
teilweise im Quäkertum angekommen. Auch das kann Morgen schon wieder
ganz anders sein, doch heute ergeben sich mehr gemeinsame
Ansatzpunkte als in den gesamten letzten 350 Jahren, sich als das zu
verstehen, was Lutheraner und Quäker letztlich sind: Teil einer
abendländischen, europäischen Christenheit, die gegenwärtig ihren
Schwerpunkt in einer internationalem Gesellschaft außerhalb Europas
hat.
aus: Freikirchenforschung, 20, 2011, S. 40-60.
i
Einführende Literatur: Hartmut Kaelble: Der historische Vergleich.
Eine Einführung zum 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt 1999;
Hartmut Kaelble, Jürgen Schriewer (Hrsg.): Vergleich und Transfer.
Komparatistik in den Sozial-, Geschichts- und Kulturwissenschaften,
Frankfurt a. M. 2003; Deborah Cohen, Maura O’Connor: Comparison
and history. Europe in cross-national perspective, Routledge 2004;
Eckart Conze, Ulrich Lappenküper, Guido Müller (Hrsg.): Geschichte
der internationalen Beziehungen, Köln 2004; Matthias Middell:
Kulturtransfer und Historische Komparatistik – Thesen zu ihrem
Verhältnis, in: Comparativ, 10, 2000, S. 7-41.
ii
Emilia Fogelklou-Norlind: Luther und Fox, in: Der Quäker.
Monatshefte der deutschen Freunde, 10, 2, 1933, S. 33-43, hier S.
43.
iii
Roland Bainton: Here I stand. A life of Martin Luther, New York 1969
(14. Auflage), S. 201.
iv
Robert Barclay: An apology for the true Christian divinity, in:
Truth triumphant, Bd.2, Philadelphia 1831, S. 505.
v
William Penn: Ohne Kreuz keine Krone, hrsg. von Claus Bernet, Olaf
Radicke, Norderstedt 2009, S. 168.
vi
John L. Nickalls: George Fox’s library, in: Journal of the Friends
Historical Society, 28, 1931, S. 1-21; Henry J. Cadbury: George
Fox’s library, in: Journal of the Friends Historical, 29, 1932, S.
63-71 und 30, 1933, S. 9-19.
x
Robert Barclay, Apologia, Amsterdam 1676, Second Proposition, §II.
xii
Von den Konziliis und Kirchen (1539); WA 50, S. 633.
xiii
WA 10, 3, S. 171. Sie dazu auch ausführlich: Christine Globig,
Frauenordination im Kontext lutherischer Ekklesiologie, Göttingen
1994, S. 28-36.
xiv
Joseph Besse: A collection of the sufferings of the people called
Quakers, 2 Bdd., London 1753.
xv
Ohne Quellenbeleg zitiert nach Sünne Juterczenka: Über Gott und
die Welt. Endzeitvisionen, Reformdebatten und die europäische
Quäkermission in der Frühen Neuzeit, Göttingen 2008, S. 98.
xvi
Benjamin Seebohm (Hrsg.): Memoirs of the life and Gospel labours of
Stephen Grellet, Bd. 2, London 1860, S.
282-293.
xvii
Memoir of the life of Elizabeth Fry, Bd. 2, London 1848, S. 355.
xviii
Thomas
Wight, John Rutty: A history of the rise and progress of the people
called Quakers, in Ireland, from the year 1653 to 1700, London 1811,
S. 31-32.
xx
David Duncan: Essays and reviews, Manchester 1861, S. 12.
xxi
Claus Bernet: Duncan, David, in: Biographisch-bibliographisches
Kirchenlexikon, 32, 2011 (im Druck).
xxii
Zu Braithwaite fehlt eine modere Biographie; zu Jones siehe jetzt:
Claus Bernet: Rufus Jones (1863-1948). Life and bibliography of an
American scholar, writer, and social activist, New York 2009.
xxiii
Pink Dandelion: The Quakers - A very short introduction, Oxford
2008, S. 108.
xxiv
Claus Bernet: Leben zwischen evangelischer Theologie und Quäkertum.
Biographische Verläufe im 20. Jahrhundert, in: Materialdienst des
Konfessionskundlichen Instituts Bensheim, 59, 2, 2008, S. 29-35.
xxv
Schon 1959, als Röhr das Quäkertum genauer noch nicht kannte,
wendete er sich gegen die Interpretation der Zwei-Reiche-Lehre als
einen (staatlich-politischen) Bereich, in dem die christlichen
Gebote für die Machtausübung keine Geltung hätten und kritisierte
die „merkwürdig unrevolutionäre“ Haltung Luthers auf
sozial-politischem Gebiet; Heinz Röhr: Luthers Lehre von den zwei
Reichen, in: Der Evangelische Erzieher, 11, 3, 1959, S. 72-84.
xxvi
Dass die Eidfrage unter den Quäkern oftmals lediglich in der
Theorie besprochen und ansonsten nur noch eine gewisse
folkloristische Rolle spielt, die die vielen Pädagogen unter den
deutschen Quäkern in keinem Fall davon abgehalten hat, den Amtseid
zu leisten, sei hier nur am Rande vermerkt.
xxvii
Emil Fuchs: Luthers deutsche Sendung, Tübingen 1917, S. 3.
xxviii
Ebda., S. 11.
xxix
Ebda., S. 19.
xxx
Ebda., S. 25-26.
xxxi
Emil Fuchs: Erlösung bei Luther und George Fox, in: Der Quäker.
Monatshefte der deutschen Freunde, 14, 5, 1937, S. 130-134.
xxxii
Rezension zu Taubes „Wirkungen Luthers“, siehe: Der Quäker.
Monatshefte der deutschen Freunde, 16, 9, 1939, S. 286-287. Otto von
Taube (1879-1973) war alles andere als ein Nationalsozialist,
sondern Literat und Kunsthistoriker, der für seine Werke auch mutig
Feldforschungen unternahm. Unter den Nationalsozialisten hatte er
Schwierigkeiten, da Taube in seinen Werken vor 1933 übertriebene
Deutschtümelei angeprangert hatte.
xxxiii
Das lebendige Wort, in: Der Quäker. Monatshefte der deutschen
Freunde, 19, 2, 1942, S. 31-32.
xxxiv
Bedauerlicherweise wurde versäumt, den Zitaten die Nachweise
beizufügen, damit man einmal dem Kontext der Lutherworte nachgehen
könnte. Mir ist es nicht gelungen, die Zitate in der WA
nachzuweisen.
xxxv
Emil Fuchs: George Fox. Seine Botschaft, sein Wesen und sein Leben
nach seinen eigenen Denkwürdigkeiten dargestellt. Mit einer
Einleitung von Claus Bernet, hrsg. von der Religiösen Gesellschaft
der Freunde (Quäker) e.V. (Bad Pyrmont 2006).
xxxvi
Fuchs, Sendung, 1917, S. 45.
xxxvii
Fuchs, George Fox, 2006, S. 84. Hier wie auch an anderer Stelle
vertritt Fuchs seine Auffassung als Quäker, was ihn notgedrungen
mit dem Luthertum seiner Zeit in Konflikt bringen musste. Die
Nichtveröffentlichung des Manuskriptes mag seinen Grund auch darin
haben, dass Fuchs nach 1945 als Lehrstuhlinhaber einer theologischen
Fakultät seinen kirchenkritischen Texten nur noch wenig Interesse
entgegenbringen konnte. Zudem hatten die deutschen Quäker 1950
unter großen Mühen eine neue Übersetzung des Tagebuches von
George Fox herausgebracht, womit der Bedarf an historischen
Schriften zu dieser Zeit erst einmal gedeckt schien.
xxxviii
Siehe dazu die Beschreibung der Reise von Fuchs und dem Quäker
Leonard Kenworthy 1940 auf die Wartburg, wo Fuchs sich für Fox als
den „wahren Prophet
der Reformation“
ausspricht, wohingegen Luther „subsequently
defected from the truth“;
Hans Schmitt: Quakers
and Nazis. Inner
light in outer darkness,
Missouri 1997, S. 184-185.
xxxix
Luther hatte auch später in Leipzig zu unterschiedlichen Zeiten
gepredigt und zeitweise in der Messestadt gewohnt.
xl
Magdalene Hager, u.a. (Hrsg.): Ruf und Antwort. Festgabe für Emil
Fuchs zum 90. Geburtstag. Leipzig 1964.
xli
Fuchs, Sendung, 1917, S. 263.
xlii
Emil
Fuchs: Martin
Luther - eine deutsche Schicksalsgestalt, in: Evangelisches
Pfarrerblatt, 8, 1966, S. 259-263, hier S. 260.
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