20121125

Pollatz-Forschungs-Fortschritte: Nach Dresden ist vor Dresden

Nach nun einer guten Woche Aktenstaub in verschiedensten Archiven und nach anstrengenden Ortsterminen auf entlegenen Grundstücken bin ich jetzt froh und dankbar, wieder eine Reise nach Dresden unternommen zu haben. Was gibt es an neuen Erkenntnissen und neuen Einsichten zu den Quäker-Reformpädagogen Manfred und Lili Pollatz?
Lili, die Frau von Manfred Pollatz, hieß ursprünglich nun doch „Lily“, wie ich es schon vermutet hatte: beide Schreibweisen sind legitim. Sie selbst entschied sich später für „Lili“ und hielt dann ein Leben lang daran fest. Auch bezüglich der einstigen Waldschule gibt es Neues: es existiert eine Schülerliste aus dem Jahr 1918: vor allem Familien aus Klotzsche und Langebrück waren dort einst  untergebracht. Ob sich der reformpädagogische Ansatz später im Leben der Schüler irgendwie auswirkte, kann erst nach weiteren Recherchen festgestellt werden. 
Zu Weihnachten 1919 veranstalte die Waldschule noch ein letzte Mal im Bahnhofshotel Klotzsche eine Weihnachtsaufführung. Gegeben wurde von den Kleinen „Der Kinder Traum“ und von den Älteren „Die Christrose“, ein Weihnachtsspiel in fünf Akten. Beide Stücke waren von Lehrerinnen der Schule verfasst worden. Eingeleitet wurde die Feier vom Schulchor von Kindern im Alter von 6 bis 16 Jahren. In der Pause versteigerte Manfred Pollatz fünf Puppen, die seine Schülerinnen liebevoll angefertigt hatten. Die dabei erworbenen 500 Mark sollten Bedürftigen der Gemeinde zugute kommen. 
Auch zu Manfred Pollatz gibt es Neues: er hatte begonnen, über ein literaturwissenschaftliches Thema zu promovieren. Da die Lehranforderungen aber später an der Landesschule hoch waren, vier Kinder zu erziehen waren und da in den 1920er Jahren seine finanzielle Lage gesichert schien, wurde der Plan einer Hochschularbeit nicht weiter verfolgt.

                                                 Das Gebäude der privat geführten Waldschule in Dresden-Klotzsche  © Haverford College Library, PA, QC, PYM Indian Committee, box AA66

Und Lili Pollatz? 1914 hat sie einen kleinen Skandal verursacht, der sie uns heute sympathisch macht: Öffentlich lobte sie die Schaffenskraft und die Kulturleistungen der Engländer und Engländerinnen (die Sklaverei und Völkerunterjochung wurden hier einmal ausgeblendet), und zweifelte an der „Kriegsschuld“ der Engländer – Aussagen, die zu jener Zeit provokativ waren und ziemlich hohe Wellen schlugen, bis zu einer Vorladung bei dem Oberbürgermeister Dresdens, Gustav Otto Beutler (1853-1926).
Und die Quäker? Zwei Mal, 1905, und zu Weihnachten 1906, war sie in London zu Gast. Und wo untergebracht? Bei den Backhouses, einer angesehenen Quäkerfamilie mit einem besonderen Bezug zu Deutschland. Damit kann man die „Quäkerwurzeln“ wesentlich weiter zurückdatieren, als es mir bislang bekannt war. Mal sehen, was sich darüber in den nächsten Jahren durch sorgfältige Recherche eventuell noch herausfinden lässt.
Mein Dank geht diesmal vor allem an sächsische Heimathistoriker und Nachkommen der Waldschule-Schüler aus Klotzsche, ohne deren Hilfe vieles vielleicht für immer unentdeckt geblieben wäre und die es mir ermöglicht haben, das heutige Wohnhaus auch einmal von innen zu besichtigen. Summa summarum: bald schon geht es sicherlich zurück in das schöne Dresden. Fast so schön wie Berlin.

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