Schon seit Jahren beschäftigt mich die Exegese, die der Theologe, evangelische Pfarrer und Quäker Emil Fuchs während des Dritten Reiches privat verfasst hat. Die Struktur der Manuskripte ist immer die gleiche: erst kommt ein Bibelzitat, dann die Auslegung von Emil Fuchs, und schließlich einige passende Zitate aus dem Tagebuch von George Fox.
Ich gebe hier einmal die bekannte Passage zu Kapitel 22, Vers 15-22 zur Steuerfrage wieder:
Da gingen die Pharisäer hin und hielten einen Rat, wie sie ihn durch seine Worte fangen möchten. Sie senden ihm ihre Jünger mit Anhängern des Herodes, die sagten: Meister! Wir wissen, dass du wahrhaftig bist und lehrst in Wahrhaftigkeit den Weg Gottes. Du nimmst auch nicht Rücksicht auf irgendjemand und siehst die Person nicht an. So sage uns nun, was dünkt dich: Ist es recht, dem Kaiser Steuer zu zahlen oder nicht?
Jesus
erkannte ihre böse Absicht. So sprach er: Was versucht ihr mich, ihr Heuchler? Zeigt
mir die Münze, damit ihr die Steuern zahlt. Sie aber brachten ihm einen Dinar. Er
fragte sie: Wessen Bild und Aufschrift ist auf ihm? Sie sagten: Des Kaisers! Sagt
er ihnen: So gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist und Gott, was Gottes! Als sie
dies hörten, verwunderten sie sich, ließen von ihm ab und gingen weg.
Es war nicht nur Klugheit und Bosheit, dass man
Jesu diese Frage stellte. Das Gefährliche an der Frage ist eben dies, dass sie
die notwendigste Frage war an den, der Messias sein wollte oder sollte. Das war
ja der Punkt, um den sich im Bewusstsein der national-jüdischen Kreise alles
drehte. Ist dieser Prophet entschlossen, den Freiheitskampf gegen den römischen
Kaiser zu beginnen, dann wollen wir ihn als Messias anerkennen. Will er das
nicht, so sagte er damit selbst, dass er der Christus nicht ist.
Dass man die Frage so offen stellte, war
allerdings eine Falle. Man war ja in Jerusalem völlig in der Hand der römischen
Legionen. Wer diese Frage mit einem „nein“ beantwortete, musste von ihnen
verhaftet werden und als Aufrührer gerichtet. Es sei denn, die Volksmassen
schützten ihn – was aber konnten die unbewaffneten Volksmassen ausrichten gegen
Roms Legionen? Oder er war dessen sicher, dass göttliche Macht ihn schütze und
ihn zum Siege führe. Damit erkennen wir die ganze Bedeutung der Frage: Bist du
dir des göttlichen Beistandes so sicher, dass du hier, umringt von Roms
Legionen zu sagen wagst, was ein Messias sagen muss? Sie erwarteten also
entweder eine Antwort, so kühn und so durch den sichtbar eintretenden Schutz
Gottes bestätigt, dass sie an seinem göttlichen Auftrag nicht mehr zu zweifeln
brauchten. Oder er gibt diese kühne Antwort nicht – dann weiß jeder, auch jeder
in diesen begeisterten Volksmassen, dass er diesen göttlichen Schutz nicht
erwartet, also sich nicht zutraut, der Messias zu sein.
Wir wissen, dass selbst für die Jünger Jesu die
Frage noch nicht stand. So wenig war es möglich, der Messiaserwartung des
jüdischen Volkes jenen tiefen, wahren Sinn zu geben, den ihr Jesus geben
musste. Das war die Schwierigkeit, vor der er stand, zu zeigen, dass die Frage
falsch gestellt war, dass es sich gar nicht darum handelte, ob man den
Freiheitskampf gegen Rom beginnen solle oder nicht, sondern um etwas ganz, ganz
Anderes. Wie schwierig es war, dies Andere klar zu machen, zeigt uns die
Tatsache, dass die heutige Christenheit den Sinn seiner Antwort immer noch
nicht begriffen hat. Immer wieder wird das Wort benutzt, um ein Verhältnis von
Religion und Staat, Staat und Kirche zu rechtfertigen, durch das es in sein
Gegenteil verkehrt wird. Machen wir uns erst ganz gewissenhaft klar, was Jesus
meinte: Er lässt sich die Münze zeigen, mit der man die Steuer zahlte, also
einen römischen Dinar, eine Silbermünze im Werte von etwa einer Mark. Sie war
geprägt mit dem Bilde des Kaisers. Das war damals Tiberius. Das darf man nie
vergessen, dass es das Bild des grausamen, fremden Kaisers war, des
Unterdrückers. Hältst du es wirklich für recht, dass wir – Gottes Volk – diesem
fremden Unterdrücker Steuern zahlen?
Das ist zuerst einmal sehr zu beachten: Es
handelt sich hier nicht um die Stellung Jesu zum eigenen Staat seines Volkes,
sondern zur Fremdherrschaft, die über seinem Volke lastete. Dieser
Fremdherrschaft gegenüber sagte er: Gebt die Steuer! Das Wort erhält eine
erschreckende Schärfe, wenn wir das beachten. Lasst uns nicht zu rasch mit ihm
fertig werden! Erkennt nun Jesus damit die Fremdherrschaft an? Oder sind ihm
diese politischen Verhältnisse so gleichgültig, dass er den Seinen sagt:
Kümmert euch nicht darum, ob euer Volk unter Fremdherrschaft steht oder nicht? Es
ist für die Frömmigkeit völlig einerlei, ob ihr im Irdischen dem fremden Kaiser
untertan seid oder nicht. Euch soll nur das Jenseitige kümmern – meint er das?
„Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist“. – Was
ist des Kaisers? Manchmal wird das Wort so ausgelegt, als sei
selbstverständlich alles des Kaisers, was dieser fordert. Dann wäre Gottes das,
was der Kaiser gnädig übrig lässt.
Hier in Jesu Wort aber ist des Kaisers die
Münze, damit man Steuern zahlt. Sie trägt sein Bild und seine Aufschrift. Das
Geld – das tote Stück Silber – das ist des Kaisers! Das könnt ihr getrost dem
Kaiser geben! Dieses tote Geldstück braucht ihr nicht wichtig zu nehmen –
sobald ihr Gott gebt, was Gottes ist. Was aber ist Gottes?
Kann es irgendetwas vom Gewissen, von Geist und
Seele, Freiheit und Wahrheit des Menschen, eines Volkes, der Menschheit geben,
das nicht Gottes wäre? Kann von dem allem irgendetwas Gott entzogen werden? Ist
das richtig, dann ist das Wort klar. Es atmet eine eisige Verachtung des
Geldes, des Mammon. Ihr meint, dass das Schicksal eueres Volkes irgendwie davon
abhängt, wem ihr dies tote Stück Silber gebt! Es hängt ganz und gar nur davon
ab, wem ihr euer Gewissen gebt! Gebt Gott, was Gottes ist und alles Andere wird
sich so regeln, wie es Gottes Willen entspricht. Ihr werdet die rechten Wege
dazu finden. Nie aber findet ihr die rechten Wege zur Regelung eures
Schicksals, wenn ihr sie vom Mammon aus sucht, statt vom Gewissen.
So gesehen scheidet das Wort nicht die Welt des
Staates und die der Kirche, nicht Religion und Politik. Es scheidet vielmehr
zwei Gesinnungen voneinander. Jede dieser Gesinnung beherrscht das ganze Sein
und Leben des Menschen und der Gesellschaft, wo sie ist. Die eine Gesinnung
sieht das Heil des Menschen, der Völker, der Staaten, abhängig von ihrem
Besitz, von der Macht über Geld und materielle Dinge, vom Toten und der Macht
des Toten. Politik wird für sie ein Kampf um diese Dinge. Kirche, Religion sind
ein neben diesen entscheidenden Dingen stehende Vergeistigung und Verschönerung
des Daseins, der man so viel Raum gönnen darf, als ohne Gefährdung jener
lebenswichtigen materiellen „Werte“ möglich ist. Sie sind das Entscheidende und
der Kaiser, der materielle Interesse der Macht bestimmt, was davon frei
gelassen wird.
Der anderen Gesinnung sind die entscheidenden,
weltgestaltenden Mächte eben das Gewissen, die geistigen Bewegungen, Freiheit
und Wahrheit, Wahrhaftigkeit und Treue und Gerechtigkeit. Sie meint, dass von
der Stärke dieser Mächte in den Gewissen der Menschen und Völker deren
Schicksal, Freiheit, Zukunft, Lebenskraft und Kultur abhängt. Sie meint, dass
nirgends brutale Gewalt, nirgends fremde Herrschaft das Wesenhafte und Zukunft
schaffende töten, einem Menschen oder einem Volke nehmen kann, wo diese Dinge
stark sind, wo das Gewissen in Ordnung ist – Gott gehört, was Gottes ist. Sie
meint, dass diese Mächte als ein Stück von Gottes Schöpfergewalt alles wahre
Schaffen und Gestalten der Menschheit trägt. Wo sie nicht sind, müssen alle
Gestaltungen und Bildungen zerfallen und untergehen, mag man auch mit äußerer
Macht versuchen, sie zu halten.
Noch immer sind die Völker, die sich zu Herren
der anderen machten, geistig an ihrer Macht zugrunde gegangen. Gar oft ist
geistige Mächtigkeit, die man mit äußerer Macht tributpflichtig machte und
niederzwingen wollte, aufgestiegen und hat jene andere überwunden.
So nun meint Jesus dies Wort: Gebt dieser äußeren
Macht, was sie an äußerem Gut und Geld fordert. Haltet euch aber in Verbindung
mit dem Gott, dessen lebendig schöpferische Macht jene andere Welt überwachsen
und vernichten wird. Nicht durch Kampf um das Äußerliche überwindet man jene
Welt, sondern dadurch, dass man anders ist als sie, stärker ist als sie, aus
den Kräften der göttlichen Welt einfach lebt und seine Welt neben jene andere
einfach baut.
So war ja auch das Verhalten jener ersten Jünger
Jesu in der römischen Welt. Das stand ihnen fest, dass diese Welt der Kaiser,
der Macht und Gewalt vergehen würden. Sie hatten sie nicht zu zerstören mit
gleicher Gewalt. Sie musste vergehen, weil Gottes Mächtigkeit ihr fehlte, ihr
Gewissen nicht Gott gehörte. So lebten sie in dieser Welt. Aber ein Anerkennen
dieser Welt gab es nicht für sie. Sie wussten, dass ihr Gewissen Gott
gehöre und dass sie die Welt jetzt schon zu gestalten hatten, die sie
erwarteten, die einmal diese ganze Welt der Gewalt, des Kaisers, des römischen
Reiches ablösen sollte – nicht wieder durch Gewalt, sondern dadurch, dass sie
sie überwachse, getragen von denen, die „Gott gaben, was Gottes ist“.
Wer aber jene andere Welt innerlich anerkennt,
ihr ein Stück seines Gewissens – oh – der das Gewissen ganz gibt – der ist eben
aus der Welt Gottes herausgefallen. Ein Nebeneinander beider, ein Kompromiss
beider, ist nicht möglich. Es kann auch nicht so sein, dass wir mit dem Leibe
jener Welt der Gewalt angehören, mit Seele und Gewissen der Welt Gottes. Was
der Leib tut, wird von den Kräften der Gesinnung und des Gewissens bestimmt,
die ihn regieren. Mit dieser Gesinnung kann man aber nur einer dieser Welten
angehören. Gehört man der einen an und glaubt an die selbstverständliche
schaffende Macht der äußeren Dinge, dann wird man Staat und Wirtschaft, Volk
und Kirche, Wissenschaft, Erziehung und Schule, Kunst und Arbeit gestalten nach
ihrem Geiste – unter diesen Geist zwingen wollen – und alles Geistige langsam
zerstören. Denn alles Geistige ist ja irgendwie bedingt durch das
Schöpferische, das von Gott stammt und nur da wahrhaft wirken kann, wo man Gott
gibt, was Gott ist. Gibt man Gott, was Gottes ist, so wird man eben auch darum
ringen, Volk und Kirche, Staat und Kultur, Wirtschaft und Arbeit, Kunst und
Wissenschaft, Erziehung und Schule im Gehorsam gegen ihn zu gestalten. Unsere
Welt ist eine einheitliche Welt. Man kann nicht in einem Teil dem Materiellen dienen
und in dem anderen Gott. Man kann nur lächelnd denen das Materielle lassen, die
es allein wollen und in allertiefstem Gegensatz zu ihnen das tun und sein, was
zu Gott gehört und sein Reich in diese Welt hineinwirkt. Wir wissen dann, dass
wir, während wir dem Kaiser geben, was des Kaisers ist, diese Macht der
Unterdrückung überwinden durch die schöpferischen Gewalten dessen, was denen
gegeben ist, die ihr Gewissen an Gott binden.
Als die römischen Kaiser Frieden schaffen
wollten durch ihre Unterdrückung der Völker unter Verachtung der Mächte des
Gewissens und der Gerechtigkeit, war das Ergebnis ein ungeheures Sterben, der
zur Hoffnungslosigkeit verdammten Völker. Und als die Völker erdrückt waren,
starb auch die erdrückende Aristokratie, und Germanen setzten sich an die
Stelle derer, die mit Macht allein regieren wollten.
„Trachtet am ersten nach dem Reich Gottes und
nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch solches alles zufallen“ – Dies Wort
gilt, wie für das persönliche Leben auch für das Volks, Staats- und
Menschheitsleben, auch für Kultur und Wirtschaft. Wer meint, es gälte nicht,
der meint, dass Gott nicht die Urgrundlage und Urgewalt über aller Welt sei.
„Alle
Leiden des Volkes Gottes zu allen Zeiten kamen davon, dass seine Glieder nicht
teilnehmen konnten an den nationalen Religionen und Gottesdiensten, die
Menschen gemacht und eingerichtet hatten. Sie wollten nicht Gottes Religion und
seinen Dienst verlassen, die er eingesetzt hat. In allen Chroniken und
Geschichtsbüchern mögt ihr sehen, dass die Priester sich mit den Mächtigen der
Völker verbündeten, den Obrigkeiten, mit denen die dem Volke nach dem Munde
redeten und ihm Gutes verkündeten. Diese alle einten sich gegen das Volk Gottes
und brachten leere, erdichtete Dinge gegen sie in ihrem Rate vor. Wenn die
Juden schlecht handelten, wendeten sie sich gegen Moses. Wenn die jüdischen
Könige das Gesetz Gottes übertraten, verfolgten sie die Propheten, wie in deren
Schriften gesehen werden kann. Als Christus, die Schöpferkraft, kam, verfolgten
die Juden Christus, seine Apostel und Jünger. Und als die Juden nicht genug
Macht hatten, sie so zu verfolgen, wie sie es sich wünschten, holten sie sich
die Heiden zu Hilfe gegen Christus, gegen seine Apostel und Jünger, die im
Geiste und in der Macht Christi standen“ (Journal George Fox, I, 536).