20140406

Austritte und Ausschlüsse aus deutschen Quäkergemeinden im 19. Jahrhundert: Forschungsstand und Ausblicke

1838 schrieben die Mindener Quäker die örtliche preußische Regierung an, um ihr den Ablauf ihrer Hochzeit zu erklären und deren staatliche Anerkennung voranzutreiben. Hauptpunkt war die Abwesenheit eines Geistlichen, ansonsten war der Verlauf wenig spektakulär, so dass selbst die Quäker über sich schreiben konnten: „They do it in the same way as in other Christian communities“. In Wirklichkeit waren aber Hochzeit und Ehe ein Punkt mit vielen Besonderheiten, um die innerhalb der deutschen Quäkergemeinde im 19. Jahrhundert häufig gestritten wurde und nicht selten das Eingreifen der Engländer zur Folge hatte.
Die strikte Endogamie war der Haupthinderungsgrund, weshalb die Gemeinden der Quäker in Deutschland nur unzureichend aus sich selbst heraus expandieren konnten. Dennoch wurde verbissen an dieser Regelung, die formal nie abgeschafft wurde, festgehalten. In der Praxis hatte sich aber ab den 1830er Jahren eine findige Lösung durchgesetzt: Ausgeschlossene Mitglieder konnten postwendend nach ihrem Ausschluss wieder aufgenommen werden. Eine Garantie dafür gab es jedoch nicht, sondern die Entscheidung musste einmütig in der Gemeinde gefällt werden. Dadurch gelangten, vor allem in Minden, immer mehr Personen in die Gemeinde, die einen Nichtquäker zum Ehepartner hatten. Insbesondere die Kindererziehung und der sonntägliche Gottesdienst waren in diesen gemischtkonfessionellen Ehen ein andauernder Konfliktpunkt, auch mit den Konfessionskirchen, da deren Geistliche darauf drängten, dass die Kinder am Schulunterricht der Kirchen, und nicht an dem der Quäker, teilnahmen.
Die Pyrmont-Friedensthaler Gemeinde hat sich im Laufe der Jahre quasi selbst ausgeschlossen. Diskussionen um Ausschlüsse nahmen einen Großteil der Zeit in den Geschäftsversammlungen ein, fast in jeder Sitzung kam dieser Punkt auf. In der Mindener Quäkergemeinde war man in dieser Frage anscheinend toleranter. Dennoch wurden insgesamt 61 Personen ausgeschlossen, 21 Frauen und 36 Männer. Bei der geringen Mitgliederzahl von insgesamt 186 Mitgliedern in ganz Deutschland über den gesamten Zeitraum von 1792 bis 1898 ist dies eine überraschend hohe Zahl. Etwa jedes dritte Mitglied erlebte also einen Ausschluss, manche schon nach wenigen Jahren der Mitgliedschaft, andere nach Jahrzehnten, womit sie auch den sicher geglaubten Begräbnisplatz auf den Quäkerfriedhöfen verloren. In der Pyrmonter Gemeinde war es um 1800 fast so, dass jeder, der hervortrat und Verantwortung übernahm, irgendwann ausgeschlossen wurde. Nur eine Handvoll dieser Ausgeschlossen bemühten sich, wie etwa Ludwig Seebohm, demütigend über Jahre um eine Neuaufnahme. Die Mehrzahl kam bei anderen Konfessionen unter oder blieben, meist auf dem Lande, Separatisten.
Bei Ausheiratungen war das Geschlechterverhältnis interessanter Weise ausgewogen: zehn Frauen und ebenso zehn Männer mussten die Gemeinde verlassen. Bei den übrigen Ausschlussgründen überwogen die Männer mit 26 Fällen gegenüber zehn Fällen bei den Frauen signifikant. Die wenigen Fälle wegen Studium oder Militärdienst können hier nicht den alleinigen Ausschlag gegeben haben. Vielmehr wurden Männer häufiger wegen heterodoxer Gedanken und unmoralischen Verhaltens ausgeschlossen. Ob nun tatsächlich ihr Verhalten dementsprechend war, oder ob man gleiches Vergehen bei Frauen laxer bewertete, oder es gar nicht wahrnahm, kann anhand des zur Verfügung stehenden Quellenmaterials nicht abschließend entschieden werden. Soziologisch kann man die hohe Bereitschaft zu eigenem Denken so erklären, dass diejenigen, die es schafften, sich aus den kirchlichen Banden zu befreien, ihr Verhalten als Mitglieder bei den Quäkern nicht unbedingt änderten und weiterhin eine kritische Haltung in religiösen und moralischen Fragen einnahmen. Gerade innerhalb Bewegungen, die religiöse Virtuosen anzogen, bezog sich die kritische Anspruchshaltung keineswegs primär auf den Außenbereich, sondern kritisch wurde vor allem die eigene Gruppe gesehen. Im Falle von Charlotte van Laer wurde das besonders deutlich. Ausgeschlossen werden konnte man letztlich aus im Grunde zwei konträren Verhaltensweisen: entweder, wenn man zu unbeteiligt und „lau“ war, oder wenn man sich übereifrig und kompromisslos verhielt.

Wer sich näher für diese Fragen interessiert, dem empfehle ich den folgenden Beitrag: „Sehr, sehr hart ist dieser Schritt für mich gewesen...“: Endogamie, Partnerschaftswahl und Sanktionsverhalten bei deutschen Quäkern im 19. Jahrhundert, in: Freikirchenforschung, 23, 2014, S. 195-219. Der Text ist aus der Frühjahrstagung des Vereins für Freikirchenforschung hervorgegangen, der folgendes Thema hatte: „Einfach nur enttäuscht“: Aussteiger aus Freikirchen“ (Bensheim, 11.-13. April 2013). Der Band enthält ebenfalls sehr empfehlenswerte Beiträge von Barabara Keller, Bernd Wehner, Christoph Raedel, Reinhard Hempelmann und Mohammed Herzog. Gewidmet ist er Karl Heinz Voigt (Methodistenkirche) zum 80. Geburtstag.

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