20130318

Anne Finch Conway (1631-1679): Quäkerin, Philosophin, Esoterikerin

                          Die Philosophin mit Hund (Source wikimedia)

Anne Finch war das jüngste von elf Geschwistern von Sir Henry (Heneage) Finch (gest. am 7. Dezember 1631), einem Abgeordneten des House of Commons und seiner Ehefrau Elizabeth Cradock Benet. Dank des Vermögens ihrer Familie mußte Anne nicht arbeiten, sondern konnte ihre Kindheit in einer großen Londoner Stadtvilla samt Garten (Kensington House) verbringen. Neben der üblichen Erziehung, die den Frauen ihrer Zeit gewährt wurde, lernte sie Hebräisch, Altgriechisch und Latein. Französisch, Astronomie und Mathematik soll sie sich anhand des Bücherstudiums selbst beigebracht haben. Schon frühzeitig entwickelte sie eine Passion für philosophische Lektüre, die sie ihr Leben lang begleitete. Zu den von ihr bevorzugten Autoren zählten Plato, Plotinius, Philo Judaeus und besonders die „Kabbala Denudata“. Ebenso wurden von ihr mystische und theosophische Schriften geschätzt. Ein Teil dieser Texte wurde ihr von ihrem älteren Bruder John beschafft, der an der Universität von Cambridge studierte. 

1650 wurde eine Hochzeit zwischen Anne Finch und Edward Conway arrangiert, die am 11. Februar 1651 geschlossen wurde. 1660 wurde Edward zum Earl of Conway geschlagen. Dank der toleranten und weltoffenen Haltung dieses Mannes konnte Conway weiterhin ihre philosophischen Studien betreiben. Am 6. Februar 1658 wurde ihnen der Sohn Heneage Edward Conway geboren, der bereits am 14. Oktober 1660 an den Pocken verstarb. Conway ließ sich nicht von ihrem geliebten Kind trennen, sondern behielt es bis zum Tode bei sich. Dabei steckte sie sich vermutlich an und erkrankte schwer an der damals oft tödlich verlaufenden Krankheit. Schon vorher war ihr Leben von Siechtum und Leiden geprägt. Nach einer Fiebererkrankung im zwölften Lebensjahr litt sie schwer unter chronischen Kopfschmerzen, die sie selbst im Schlaf quälten. Ihre Mutter und Annes Schwestern gaben dem vielen Lesen die Schuld. In Hoffnung auf Linderung begab sie sich, in Begleitung des Philosophen Henry More (1614-1687), zu einer Operation nach Frankreich. Die dortigen Chirurgen lehnten jedoch einen Eingriff am Schädel ab sondern öffneten für kurze Zeit Conways Halsschlagader. Weitere Maßnahmen, wie die Einnahme von Kaffee oder Tabak, Opium, Quecksilber und Laudanum halfen ebensowenig wie eine eigens von Robert Boyle (1627-1691) zusammengestellte Mixtur des Ens Veneris. Auch andere alternative Heilungsmethoden wurden angewandt. Am 27. Januar 1665 traf Valentine Greatrakes (1628-1682) auf Ragley ein, der bekannteste Arzt seiner Zeit, der durch Handauflegen zu heilen versuchte. Obwohl er nachweislich mehrere Heilungen vor Zeugen auf Ragley unternahm, konnte er Lady Conway nicht helfen. Einzig das Abdunkeln ihres Zimmers und strikte Ruhe gewährten ihr während der schlimmsten Schmerzattacken etwas Linderung. 

Lady Conway liebte den philosophisch-esoterischen Austausch. Zu ihren Freunden zählte Ralph Cudworth (1617-1688) und der flämische Physiker, Alchimist, Paracelsist, Theosoph und Arzt Francis Mercury Van Helmont (1614-1699). Dieser lebte mit ihr für neun Jahre auf Schloß Ragley, nachdem er sie 1670 kennengelernt hatte. Ursprünglich war er nach England gereist, um für Elisabeth von der Pfalz (1618-1680), bei der sich auch William Penn (1644-1718) aufgehalten hatte, eine Pension von der englischen Regierung zu erbitten. Durch Van Helmont lernte Conway die Lehren des jüdischen Mystikers Isaak Luria (1534-1572) kennen. Danach ist der gesamte Kosmos beseelt, allein Gott, die All-Seele, befindet sich außerhalb davon. Ziel jeglichen Lebens sei es, zu Gott zurückzufinden, um zur Ruhe zu gelangen. Dies könne durch Vergeistigung, tugendhafte Lebensführung und mystische Versenkung geschehen. Conways engster Freund war jedoch Henry More, mit dem sie ab 1650 eine Korrespondenz vornehmlich theologischer Fragen unterhielt. Diese zog sich über fast dreißig Jahre hin. More führte seine Schülerin in die Scholastik ein und beide lasen kritisch die Texte der neuesten Autoren, wie etwa Descartes, Spinoza oder Hobbes. Ebenso wurden die Erkenntnisse und Diskurse der Platonischen Schule zu Cambridge verfolgt, die More wesentlich mitbestimmte und von der Akademie zu Florenz nach England brachte. Bis zu ihrer Hinwendung zum Quäkertum arbeitete Conway seit 1671 an ihrem Hauptwerk „The Principles of the Most Ancient and Modern Philosophy“. 

Trotz Bedenken Mores und ihrer Familie schloß sie sich, gemeinsam mit Van Helmont, 1677 der Quäkerbewegung an, da diese Gesellschaft die Gleichheit von Mann und Frau lehrte und lebte. Im Frühjahr 1678 wurde Lady Conway von George Fox (1624-1691) in Warwickshire besucht. Ebenso hielten sich die Quäker Isaac Penington (1617-1679), George Keith (1638-1716) und William Penn bei den Conways auf. Mit Robert Barclay, einem weiteren führenden Quäker, stand sie in Briefkontakt. 

Nach Lady Conways Tode im Februar 1679 konservierte Van Helmont ihre Leiche in einer Wanne mit einer alkoholischen Mixtur. Über die Wanne wurde eine Glasplatte gelegt, so daß ihr Ehemann, der sich zum Zeitpunkt ihres Todes in Irland befand, die Verstorbene betrachten konnte. Erst am 17. April 1679 wurde sie in konserviertem Zustand in einem doppelten Sarg in Arrow (Warwickshire) begraben. 

Conways einzige Schrift „Principles of the Most Ancient and Modern Philosophy“ wurde erst 1690 in Amsterdam gedruckt, zunächst noch auf Latein, posthum und anonym. Es geschah auf Veranlassung ihres Freundes Van Helmont, der dem Werk weitere seiner eigenen Schriften beifügte, so daß dieser für einige Zeit als Verfasser des Textes angesehen wurde. Erst Gottfried Wilhelm von Leibniz (1646-1716) konnte Conways Autorenschaft öffentlich machen, nachdem ihn Van Helmont in die Identität der Anonyma eingeweiht hatte. Die anschließend gedruckte und weitaus bekanntere englische Textversion mußte, vermutlich von Jodocus Crull, aus dem Lateinischen übersetzt werden, da das englische Manuskript verlustig gegangen war. Das mechanische Weltbild des Descartes wurde in den „Principles“ abgelehnt, ebenso dessen Scheidung zwischen Geist und Materie, die sich für die weitere Entwicklung der Philosophie so verheerend auswirkte. Der Respekt vor dem Leben schien Conway bedroht. Sie dagegen vertrat eine hierarchische Schöpfungstheologie. Innerhalb dieser tritt das geometrische Weltbild - eine Leidenschaft ihrer Zeit - vornehmlich in der Lehre von der Erscheinung der Dinge deutlich hervor: „We have such an example in a triangular prism, which is the first figure of all solid rectilinear bodies into which a body can be changed. From this it may change into a cube, which is a more perfect figure and includes the prism. From the cube it can change into another more perfect figure, which comes nearer to a sphere, and from this into another which is even closer to perfection. Thus it ascends from a less perfect figure to another more perfect figure to infinity. For there are no limits, nor can it be said that this body cannot be changed into a more perfect figure“ (Conway, Principles, 1999, 66/67). Christliche Theologie wird in dem Werk mit der Emanationslehre, dem antiken Vitalismus und neuplatonistischen Lehren verbunden. Unter dem rein Göttlichen befindet sich Christus (Logos) als Gott und Mensch, und wiederum darunter Menschen, Tiere und Dinglichkeiten. In dieser Kette können sich alle Lebewesen untereinander verwandeln, allein mit Gott können sie kein neues Wesen hervorbringen. Gott allein bleibt unverbunden, unwandelbar und unveränderlich. Manche Lebewesen streben mehr zum Dinglichen, manche Dinglichkeiten mehr zum Lebendigen, wie auch niedrige Lebewesen zu höheren Lebewesen streben und manche Dinglichkeiten zu noch niedrigeren Seinszuständen. Alles ist im Flusse, und ewig ist nur das Wandelbare - eine zeitunabhängige Essenz der Dinge oder Lebewesen existiert nicht. Gegensätze sind nicht grundsätzlicher Art sondern nur Ausdruck momentaner Erscheinung. Grundsätzlich ist die Schöpfung harmonisch angelegt. Ähnlich wie bei Luria ist es das Bestreben des Menschen, die Göttlichkeit zu erreichen. Aus ihrem Hauptwerk hat Leibniz den Begriff der Monade entnommen und ihn popularisiert. Parallel zum Aufstieg Leibniz’s wurde es still um Lady Conway. Nur wenigen an der Hermetik interessierten Wissenschaftlern war sie bekannt, so daß sie als „vergessene Frau der Wissenschaften“ lange Zeit ein Schattendasein führen mußte. Das zunehmende Interesse an weiblichen Biographien und Lebensentwürfen kam auch Conway zu Gute, seit Ende der siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts konnten bedeutende Einzeluntersuchungen zur Philosophie, zur Kabbala und zum Quäkertum Conways publiziert werden.

(Erstveröffentlichung BBKL, Bd. 23, 2004, Sp. 232-239)

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