20120903

Eva Hermann: eine Gerechte unter den Völkern

Eva Hermann wurde am 24. Mai 1900 als Eva Lüddecke in Grünenplan (bei Hildesheim) als Tochter eines Pfarrers geboren, evangelisch getauft und in Goslar konfirmiert. Sie hatte einen Bruder, von dem sie jedoch getrennt wurde, um ihre Schulzeit in einem Internat in Dreißig, nahe Döbeln (Sachsen), zu verbringen. Dort lebte sie vom 13. bis zum 21. Lebensjahr. Anschließend zog sie als Privatlehrerin nach Mannheim, wo sie an der Jugendbewegung teilnahm und im Versöhnungsbund mitarbeitete. 1933 löste sie, gemeinsam mit dem Pfarrer Wilhelm Mensching (1887-1964), diesen Bund auf und vernichtete vorsorglich alle personenbezogenen Unterlagen.
Eva Hermann als aufmerksame Zuhörerin auf einer Jahresversammlung in Bad Pyrmont.
In der Siedlung „Habertshof“, einem sozial-religiösen Zentrum der Lebensreformer, lernte sie ihren späteren Ehemann Carl Hermann (1898-1961) kennen. Dieser war ein renommierter Professor für Physik mit dem Schwerpunkt Kristallforschung an der Universität Marburg, wo das Paar auch sein gemeinsames Leben verbrachte. Ihre beiden adoptieren Kinder Jutta und Hans-Jürgen stammten aus den Jahren 1939 und 1941. 
1933 entschied sich Eva Hermann zur Mitgliedschaft in der „Religiösen Gesellschaft der Freunde (Quäker)“ und wurde 1934, ihr Mann 1935, aufgenommen. Während der Zeit des Nationalsozialismus gehörte das Ehepaar Hermann bei den Quäkern zu den sog. „Vertrauensleuten“, einer 24-köpfigen Gruppe von Personen, die als besonders vertrauenswürdig und hilfsbereit galten und untereinander in Kontakt standen. Hermanns halfen jüdischen Bürgern, Konfessionslosen und Partnern von Mischehen vor allem bei deren Auswanderung. Das Ehepaar Fritz und Hilde Rosenthal beispielsweise konnte längere Zeit im Hause der Hermanns verborgen gehalten werden. Im April 1943 jedoch wurde Carl Hermann verhaftet, da er innerhalb eines von ihm begründeten Zirkels englischsprachiger Wissenschaftler in Oppau angloamerikanische Sender gehört hatte. Carl Hermann wurde zu acht, Eva Hermann zu drei Jahren Haft verurteilt. Über ihre Gefangenschaft im Elsaß hat Eva Hermann mit dem Heftchen „Gefangen und doch frei“ ein beeindruckendes geistiges Zeugnis hinterlassen, wie äußere Widrigkeiten durch innere Festigkeit und Glaubensstärke überwunden werden können. Dies ist eine der wichtigsten deutschen Quäkerschriften des 20. Jahrhunderts. 
Nach 1945 zogen Eva und Carl Hermann nach Frankfurt am Main, wo sie sich zunächst bei der Kinderspeisung engagierten. Eva Hermann widmete ihre zweite Lebenshälfte vor allem der Versöhnungsarbeit mit Israel. Am 30. April 1977 wurde Eva Hermann, gemeinsam mit ihrem Mann, als „Gerechte unter den Völkern“ mit der Medaille von „Yad Vashem“, der israelischen Holocaust-Gedenkstätte, ausgezeichnet. Eva Hermann verstarb im Alter von 98 Jahren 1997 in Marburg.

(Erstveröffentlichung BBKL Band 26, 2006, Sp. 694-696)

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