20120505

Bushido goes Quäker


Den Berliner Skandalrapper „Bushido“ werden viele meiner (hoffentlich braven) Leser hier nicht unbedingt kennen. Bushido ist ein „Gangsta-Rapper“, der wirklich von ganz unten kommt (Ghetto Tempelhof), der etwa vor fünf Jahren seine größten Erfolge hatte und sich inzwischen auf seinen Brandenburger Alterssitz zur Ruhe gesetzt hat. 2006 oder 2007 war ich auf einem Konzert, auf dem u.a. Bushido auftrat, und muss sagen: erstklassige Performance.

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Jeder guter Rapper ist ein „Skandalrapper“: Bushidos Album „bei Nacht“.

Alles wird gut“ ist immer noch einer seiner besten Songs. In der Vergangenheit ist unser Skandalrapper leider auch ein paar mal durch verbale Gewaltausbrüche aufgefallen, aber wer unter uns hat in seiner Jugend nicht auch einmal gesündigt? Denkt an Paulus...
Was, fragt sich der Leser, hat dieser Skandal-Bushido nun mit dem Quäkertum zu tun? Nichts, aber auch gar nichts, hätte ich noch 2011 geantwortet. Bis ich auf Inazo Nitobe gestoßen bin, einen Quäker aus dem fernen Kaisertum Japans.
Inazo Nitobe wurde am 1. September 1862 in Morioka (heute Iwate im Nordosten Japans) als dritter Sohn des Jujiro Nitobe geboren. Nitobe entstammte einem alten Samurai-Clan. Einer seiner Großväter war ein Militärstratege und übte sich ebenso in der Kampfkunst wie Nitobes Vater, der die Techniken des Kenjutsu, Jiujitsu und Sojutsu auch seinem Sohn beibrachte und ansonsten als Großfarmer sein bequemes Auskommen hatte.
Nitobe studierte ab 1881 in Sapporo auf einer Landwirtschaftsschule, in Tokio dann ab 1883 Internationale Beziehungen sowie Englisch. Nach wenigen Monaten brach er jedoch ab, da die Zustände der Lehrinstitution unbeschreiblich katastrophal waren und wechselte an die Johns-Hopkins-Universität in den USA, wo er drei Jahre Wirtschaftswissenschaft und Politologie studierte. Für weitere drei Jahre hielt er sich bei uns in Deutschland auf, in Bonn und Halle an der Saale, wo er 1890 in Agrarwissenschaft promovierte. Er erlangte später noch einen Doktortitel in Rechtswissenschaft, sowie zwei Ehrendoktorwürden.
Zu diesem Zeitpunkt, 1888, lag ihm bereits die Ernennung zum außerordentlichen Professor in Sapporo vor, wo er im Jahre 1891 zu unterrichten begann. 1901 wurde er zum technischen Berater der japanischen Kolonialverwaltung ernannt, und half, die Kolonie Taiwan auszubeuten. 1903 wurde er zum Professor für Kolonialstudien an der Tokioer Kaiserlichen Universität ernannt. Seit 1906 war er Direktor der ersten Hochschule in Tokio und wurde 1913 zum Professor für Kolonialbeziehungen berufen, diesmal an der rechtswissenschaftlichen Fakultät. In dieser Position half er, die Tokyo Woman’s Christian University (Tokyo Joshi Dai) zu gründen, deren Präsident er 1918 wurde. Gleichzeitig war er einer der ersten japanischen Lehrer, die 1911 mit Hilfe des Carnegie Endowment for Internationl Peace als Austauschprofessoren in die USA gelangten, und wo Nitobe an sechs Universitäten Vorträge hielt.
1918 wohnte er den Friedensverhandlungen in Versailles bei. Er ließ sich dann ein Jahr später in Genf nieder, als Unter-Generalsekretär des Völkerbundes. In dieser Eigenschaft nahm er 1921 am Esperanto-Weltkongress als Beobachter teil und legte der Völkerbundsversammlung einen Bericht zum Stand der Anwendung des Esperanto im Völkerbund vor, was leider durch ein französisches Veto blockiert wurde. Auch war er Mitbegründer des Japan Council of the Institute of Pacific Relations, in dem sich liberale Reformkräfte zusammenfanden. Ebenso war er Gründungsdirektor des International Committee on Intellectual Cooperation, aus dem später die UNESCO hervorging.
1926 kehrte Nitobe nach Japan zurück und wurde, nach einer kurzen Periode als Abgeordneter im Japanischen Parlament, Vorsitzender des Institute of Pacific Relations. In den frühen dreißiger Jahren versuchte Nitobe zwischen den USA und Japan zu vermitteln, um das angespannte Verhältnis zu entspannen. Immer deutlicher wandte er sich gegen die zunehmende Militarisierung Japans, doch eine Lungenentzündung schränkte ihn gesundheitlich mehr und mehr ein. Nach einer Pazifik-Konferenz in Kanada wurde er in das Royal Jubilee Hospital in Victoria eingeliefert, wo er nach einer Operation am 15. Oktober 1933 verstarb. Später wurden Nitobe-Memorial-Gärten sowohl in Vancouver als auch in Victoria ihm zu Ehren angelegt. Nitobe ist auf den 5000 Yen-Noten abgebildet, die von 1984 bis 2004 gedruckt wurden – ansonsten ist er in Japan heute so gut wie vergessen.

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Im Westen ist er aber noch heute bekannt, vor allem wegen eines einzigen Werkes: „Bushido“. Nachdem Nitobe im Alter von 37 Jahren erkrankte und seinen Posten an der Sapporoer Agrarschule aufgeben musste, emigrierte er 1897 mit seiner Frau zeitweise nach Philadelphia. Er lebte dann mit seiner Frau fünf Jahre im Del Monte Hotel in Monterey (Kalifornien). Dort schrieb er sein Hauptwerk „Bushido: The Soul of Japan“ (1899). Die deutsche Fassung erschien erstmals 1903, heute ist das Werk in über dreißig Sprachen übersetzt. Daher hat also der Berliner Musiker Anis Mohamed Youssef Ferchichi seinen Künstlernamen „Bushido“. Ob er wohl weiß, dass er sich nach einem Quäkerbuch genannt hat? Ich vermute eher nein. Zeit, einen Brief zu schreiben – eine Einladung zu einer Berliner Quäkerandacht ist überfällig.
In Bushido (dem Buch) stellt der Autor die Grundsätze der japanischen Moral dar. Dabei beschreibt er unter anderem sieben Prinzipien, nach denen der Japaner, und besonders der Samurai, zu handeln versucht bzw. versuchen sollte. Vor und vor allem während des Zweiten Weltkriegs beriefen sich dann japanische Nationalisten auf Nitobe. Was aber meint „Bushido“ genau? Bushidō (wörtlich „Weg (dō) des Kriegers (Bushi)“) bezeichnet einen Verhaltenskodex und die Philosophie des japanischen Militäradels im späten japanischen Mittelalter, also der Samurai. Danach ist Bushido ein ungeschriebener Verhaltenskodex: „Bushido ist also der Kodex jener moralischen Grundsätze, welche die Ritter beobachten sollten. Es ist kein in erster Linie schriftlich fixierter Kodex; er besteht aus Grundsätzen, die mündlich überliefert wurden und nur zuweilen aus der Feder wohlbekannter Ritter oder Gelehrter flossen. Es ist ein Kodex, der wahrhafte Taten heilig spricht, ein Gesetz, das im Herzen geschrieben steht. Bushido gründet sich nicht auf die schöpferische Tätigkeit eines fähigen Gehirnes oder auf das Leben einer berühmten Person. Es ist vielmehr das Produkt organischen Wachsens in Jahrhunderten militärischer Entwicklung.“
Als in Japan nach der Restauration das Pendel von der fanatischen Modernisierung und Öffnung zurückschlug, begann die Zeit des Wakon-yosai, die Verwendung westlicher Mittel und Methoden bei gleichzeitiger Besinnung auf den Geist Japans. Dabei wurde eine Mischung mit Überhöhung des nationalen Stolzes verfolgt. Die Verehrung des kaiserlichen Tenno und der unbedingte Gehorsam zum Staat sprangen in eine Lücke, die das untergegangene Vasallentum hinterließ. Dies alles endete im Zweiten Weltkrieg, bei dem Hagakure und Bushido zu der beliebtesten Frontliteratur gehörten. Wenig verwunderlich ist, dass im besetzten Japan nach dem Krieg Bushido in Ungnade verfiel. Die Amerikaner befanden das militärische Gedankengut des Buches für übel, die Japaner gaben dem veralteten Kodex die Mitschuld am Versagen an der Front. Erst im Laufe vieler Jahre fand das Werk wieder Anerkennung; gleichzeitig darf nicht verschwiegen werden, dass ihm schwere Fehler vorgeworfen wurden und dass der Autor damit, so Basil Hall Chamberlain (1850-1935), eine neue Religion ins Leben gerufen habe.
1891 hatte Nitobe die amerikanische Quäkerin Mary Patterson Elkinton (gest. 1938), die Tochter eines Geschäftsmannes aus Philadelphia, geheiratet. Beide Familien versuchten vergebens, diese Ehe zu verhindern. Nitobe war in Sapporo unter dem Eindruck seines Lehrers William Smith Clark (1826-1886) Anfang der 1880er Jahre zum Christentum konvertiert und wurde von einem Methodisten getauft. Diese Entwicklung begründete sein lebenslanges Interesse am Westen. Anlässlich seines ersten USA-Aufenthaltes ist er dem Baltimore Yearly Meeting, einer amerikanischen Jahresversammlung der Quäker, 1886 beigetreten, was diese Ehe erst möglich machte. Unter den amerikanischen Quäkern warb er mit „A Japanese view of quakerism“ (London 1926) für seine eigene Interpretation des Quäkertums mit der Implementierung fernöstlicher Lehren. Durch seine deutschen Sprachkenntnisse hatte er auch Kontakte zur Deutschen Jahresversammlung, der jedoch der Bushido-Geist recht fremd blieb. In Japan muss noch die Mitgründung und Förderung der Friends School in Tokio als Leistung des Quäkers Nitobe genannt werden.

Empfehlenswerte Literatur:

-Tadanobu Suzuki: Bridge across the pacific. The life of Inazo Nitobe, friend of justice and peace, Argenta 1994

-Dick Stegewerns (Hrsg.): Nationalism and internationalism in imperial Japan: autonomy, Asian brotherhood, or world citizenship? London 2003.