Den Berliner Skandalrapper „Bushido“
werden viele meiner (hoffentlich braven) Leser hier nicht unbedingt kennen. Bushido
ist ein „Gangsta-Rapper“, der wirklich von ganz unten kommt (Ghetto Tempelhof),
der etwa vor fünf Jahren seine größten Erfolge hatte und sich inzwischen auf
seinen Brandenburger Alterssitz zur Ruhe gesetzt hat. 2006 oder 2007 war ich
auf einem Konzert, auf dem u.a. Bushido auftrat, und muss sagen: erstklassige
Performance.
Jeder guter Rapper ist ein „Skandalrapper“:
Bushidos Album „bei Nacht“.
„Alles wird gut“ ist immer noch
einer seiner besten Songs. In der Vergangenheit ist unser Skandalrapper leider
auch ein paar mal durch verbale Gewaltausbrüche aufgefallen, aber wer unter uns
hat in seiner Jugend nicht auch einmal gesündigt? Denkt an Paulus...
Was, fragt sich der Leser, hat dieser
Skandal-Bushido nun mit dem Quäkertum zu tun? Nichts, aber auch gar nichts,
hätte ich noch 2011 geantwortet. Bis ich auf Inazo Nitobe gestoßen bin, einen
Quäker aus dem fernen Kaisertum Japans.
Inazo Nitobe wurde am 1.
September 1862 in Morioka (heute Iwate im Nordosten Japans) als dritter Sohn
des Jujiro Nitobe geboren. Nitobe entstammte einem alten Samurai-Clan. Einer
seiner Großväter war ein Militärstratege und übte sich ebenso in der Kampfkunst
wie Nitobes Vater, der die Techniken des Kenjutsu, Jiujitsu und Sojutsu auch
seinem Sohn beibrachte und ansonsten als Großfarmer sein bequemes Auskommen
hatte.
Nitobe studierte ab 1881 in
Sapporo auf einer Landwirtschaftsschule, in Tokio dann ab 1883 Internationale
Beziehungen sowie Englisch. Nach wenigen Monaten brach er jedoch ab, da die
Zustände der Lehrinstitution unbeschreiblich katastrophal waren und wechselte
an die Johns-Hopkins-Universität in den USA, wo er drei Jahre
Wirtschaftswissenschaft und Politologie studierte. Für weitere drei Jahre hielt
er sich bei uns in Deutschland auf, in Bonn und Halle an der Saale, wo er 1890
in Agrarwissenschaft promovierte. Er erlangte später noch einen Doktortitel in
Rechtswissenschaft, sowie zwei Ehrendoktorwürden.
Zu diesem Zeitpunkt, 1888, lag
ihm bereits die Ernennung zum außerordentlichen Professor in Sapporo vor, wo er
im Jahre 1891 zu unterrichten begann. 1901 wurde er zum technischen Berater der
japanischen Kolonialverwaltung ernannt, und half, die Kolonie Taiwan
auszubeuten. 1903 wurde er zum Professor für Kolonialstudien an der Tokioer
Kaiserlichen Universität ernannt. Seit 1906 war er Direktor der ersten
Hochschule in Tokio und wurde 1913 zum Professor für Kolonialbeziehungen
berufen, diesmal an der rechtswissenschaftlichen Fakultät. In dieser Position
half er, die Tokyo Woman’s Christian University (Tokyo Joshi Dai) zu gründen,
deren Präsident er 1918 wurde. Gleichzeitig war er einer der ersten japanischen
Lehrer, die 1911 mit Hilfe des Carnegie Endowment for Internationl Peace als
Austauschprofessoren in die USA gelangten, und wo Nitobe an sechs Universitäten
Vorträge hielt.
1918 wohnte er den
Friedensverhandlungen in Versailles bei. Er ließ sich dann ein Jahr später in
Genf nieder, als Unter-Generalsekretär des Völkerbundes. In dieser Eigenschaft
nahm er 1921 am Esperanto-Weltkongress als Beobachter teil und legte der
Völkerbundsversammlung einen Bericht zum Stand der Anwendung des Esperanto im
Völkerbund vor, was leider durch ein französisches Veto blockiert wurde. Auch
war er Mitbegründer des Japan Council of the Institute of Pacific Relations, in
dem sich liberale Reformkräfte zusammenfanden. Ebenso war er Gründungsdirektor
des International Committee on Intellectual Cooperation, aus dem später die
UNESCO hervorging.
1926 kehrte Nitobe nach Japan
zurück und wurde, nach einer kurzen Periode als Abgeordneter im Japanischen
Parlament, Vorsitzender des Institute of Pacific Relations. In den frühen
dreißiger Jahren versuchte Nitobe zwischen den USA und Japan zu vermitteln, um
das angespannte Verhältnis zu entspannen. Immer deutlicher wandte er sich gegen
die zunehmende Militarisierung Japans, doch eine Lungenentzündung schränkte ihn
gesundheitlich mehr und mehr ein. Nach einer Pazifik-Konferenz in Kanada wurde
er in das Royal Jubilee Hospital in Victoria eingeliefert, wo er nach einer
Operation am 15. Oktober 1933 verstarb. Später wurden Nitobe-Memorial-Gärten
sowohl in Vancouver als auch in Victoria ihm zu Ehren angelegt. Nitobe ist auf
den 5000 Yen-Noten abgebildet, die von 1984 bis 2004 gedruckt wurden –
ansonsten ist er in Japan heute so gut wie vergessen.
Nicht nur bei Elisabeth Fry bedient sich der Kapitalismus...
Im Westen ist er aber noch heute
bekannt, vor allem wegen eines einzigen Werkes: „Bushido“. Nachdem Nitobe im
Alter von 37 Jahren erkrankte und seinen Posten an der Sapporoer Agrarschule
aufgeben musste, emigrierte er 1897 mit seiner Frau zeitweise nach Philadelphia.
Er lebte dann mit seiner Frau fünf Jahre im Del Monte Hotel in Monterey (Kalifornien).
Dort schrieb er sein Hauptwerk „Bushido: The Soul of Japan“ (1899). Die
deutsche Fassung erschien erstmals 1903, heute ist das Werk in über dreißig
Sprachen übersetzt. Daher hat also der Berliner Musiker Anis Mohamed Youssef
Ferchichi seinen Künstlernamen „Bushido“. Ob er wohl weiß, dass er sich nach
einem Quäkerbuch genannt hat? Ich vermute eher nein. Zeit, einen Brief zu
schreiben – eine Einladung zu einer Berliner Quäkerandacht ist überfällig.
In Bushido (dem Buch) stellt der
Autor die Grundsätze der japanischen Moral dar. Dabei beschreibt er unter
anderem sieben Prinzipien, nach denen der Japaner, und besonders der Samurai,
zu handeln versucht bzw. versuchen sollte. Vor und vor allem während des
Zweiten Weltkriegs beriefen sich dann japanische Nationalisten auf Nitobe. Was
aber meint „Bushido“ genau? Bushidō (wörtlich „Weg (dō) des Kriegers (Bushi)“)
bezeichnet einen Verhaltenskodex und die Philosophie des japanischen
Militäradels im späten japanischen Mittelalter, also der Samurai. Danach ist
Bushido ein ungeschriebener Verhaltenskodex: „Bushido ist also der Kodex jener
moralischen Grundsätze, welche die Ritter beobachten sollten. Es ist kein in
erster Linie schriftlich fixierter Kodex; er besteht aus Grundsätzen, die
mündlich überliefert wurden und nur zuweilen aus der Feder wohlbekannter Ritter
oder Gelehrter flossen. Es ist ein Kodex, der wahrhafte Taten heilig spricht,
ein Gesetz, das im Herzen geschrieben steht. Bushido gründet sich nicht auf die
schöpferische Tätigkeit eines fähigen Gehirnes oder auf das Leben einer
berühmten Person. Es ist vielmehr das Produkt organischen Wachsens in
Jahrhunderten militärischer Entwicklung.“
Als in Japan nach der
Restauration das Pendel von der fanatischen Modernisierung und Öffnung
zurückschlug, begann die Zeit des Wakon-yosai, die Verwendung westlicher Mittel
und Methoden bei gleichzeitiger Besinnung auf den Geist Japans. Dabei wurde
eine Mischung mit Überhöhung des nationalen Stolzes verfolgt. Die Verehrung des
kaiserlichen Tenno und der unbedingte Gehorsam zum Staat sprangen in eine
Lücke, die das untergegangene Vasallentum hinterließ. Dies alles endete im
Zweiten Weltkrieg, bei dem Hagakure und Bushido zu der beliebtesten
Frontliteratur gehörten. Wenig verwunderlich ist, dass im besetzten Japan nach
dem Krieg Bushido in Ungnade verfiel. Die Amerikaner befanden das militärische
Gedankengut des Buches für übel, die Japaner gaben dem veralteten Kodex die
Mitschuld am Versagen an der Front. Erst im Laufe vieler Jahre fand das Werk
wieder Anerkennung; gleichzeitig darf nicht verschwiegen werden, dass ihm
schwere Fehler vorgeworfen wurden und dass der Autor damit, so Basil Hall
Chamberlain (1850-1935), eine neue Religion ins Leben gerufen habe.
1891 hatte Nitobe die
amerikanische Quäkerin Mary Patterson Elkinton (gest. 1938), die Tochter eines
Geschäftsmannes aus Philadelphia, geheiratet. Beide Familien versuchten
vergebens, diese Ehe zu verhindern. Nitobe war in Sapporo unter dem Eindruck
seines Lehrers William Smith Clark (1826-1886) Anfang der 1880er Jahre zum
Christentum konvertiert und wurde von einem Methodisten getauft. Diese
Entwicklung begründete sein lebenslanges Interesse am Westen. Anlässlich seines
ersten USA-Aufenthaltes ist er dem Baltimore Yearly Meeting, einer
amerikanischen Jahresversammlung der Quäker, 1886 beigetreten, was diese Ehe
erst möglich machte. Unter den amerikanischen Quäkern warb er mit „A Japanese
view of quakerism“ (London 1926) für seine eigene Interpretation des Quäkertums
mit der Implementierung fernöstlicher Lehren. Durch seine deutschen
Sprachkenntnisse hatte er auch Kontakte zur Deutschen Jahresversammlung, der
jedoch der Bushido-Geist recht fremd blieb. In Japan muss noch die Mitgründung
und Förderung der Friends School in Tokio als Leistung des Quäkers Nitobe
genannt werden.
Empfehlenswerte Literatur:
-Tadanobu Suzuki: Bridge across
the pacific. The life of Inazo Nitobe, friend of justice and peace, Argenta
1994
-Dick Stegewerns (Hrsg.): Nationalism
and internationalism in imperial Japan: autonomy, Asian brotherhood, or world
citizenship? London 2003.