Volksaufklärer hatten ein besonderes Interesse am Quäkertum
(siehe dazu meinen Beitrag: Paedagogica Quakeriana: Die Schulen der deutschen
Quäker in Westfalen im 19. Jahrhundert, in: Westfälische Zeitschrift, 159,
2009, S. 281-302). Unter den Aufklärern hatte der Theologe, Pädagoge und
Dichter Johann Peter Hebel (1760-1826) ein besonderes Interesse an den Quäkern,
vermutlich hat er sie über seinen Freund Matthias Claudius kennen gelernt, oder
die Quäker bei einem Kuraufenthalt in Pyrmont sogar selbst besucht.
Wie auch
immer, es gibt von Hebel eine kleine Geschichte, die 1812 in der Zeitschrift „Der
Rheinländische Hausfreund“ erschienen ist. Diebstähle, wie hier geschildert,
waren damals an der Tagesordnung. Die Geschichte reiht sich ein in zahlreiche
weitere wahre oder erfundene Quäkergeschichten, in denen immer die ehrlichen
und friedliebenden Quäker am Ende Recht behalten – waren die Quäker im 17.
Jahrhundert noch der Bürgerschreck par
excellence, so waren sie zwei Jahrhunderte später zu Moralaposteln geworden.
„Der listige Quäker“
„Die Quäker sind eine Secte zum
Exempel in England, fromme, friedliche und verständige Leute, wie hierzulande
die Wiedertäufer ungefähr, und dürfen vieles nicht tun nach ihren Gesetzen,
nicht schwören, nicht das Gewehr tragen, vor niemand den Hut abziehn, aber
reiten, dürfen sie, wenn sie Pferde haben. Als einer von ihnen einmal abends
auf einem gar schönen stattlichen Pferd nach Haus in die Stadt wollte reiten,
wartet auf ihn ein Räuber mit kohlschwarzem Gesicht, ebenfalls auf einem Roß,
dem man alle Rippen unter der Haut, alle Knochen, alle Gelenke zählen konnte,
nur nicht die Zähne, denn sie waren alle ausgebissen, nicht am Hafer, aber am
Stroh. ‚Kind Gottes’, sagte der Räuber, ‚ich möchte meinem armen Tier da, das
sich noch dunkel an den Auszug der Kinder Israel aus Ägypten erinnern kann,
wohl auch ein so gutes Futter gönnen, wie das Eurige haben muß dem Aussehen
nach. Wenn’s Euch recht ist, so wollen wir tauschen. Ihr habt doch keine geladene
Pistole bei Euch, aber ich’.
Der Quäker dachte bei sich
selbst: ‚Was ist zu tun? Wenn alles fehlt, so hab ich zu Haus noch ein zweites Pferd,
aber kein zweites Leben’. Also tauschten sie miteinander und der Räuber ritt
auf dem Roß des Quäkers nach Haus, aber der Quäker führte das arme Tier des
Räubers am Zaum. Als er aber gegen die Stadt und an die ersten Häuser kam,
legte er ihm den Zaum auf den Rücken und sagte: ‚Geh voraus, Lazarus, du wirst
deines Herrn Stall besser finden, als ich’. Und so ließ er das Pferd
vorausgehen und folgte ihm nach Gasse ein, Gasse aus, bis es vor einer
Stalltüre stehenblieb.
Als es stehenblieb und nimmer
weiterwollte, ging er in das Haus und in die Stube, und der Räuber fegte gerade
den Ruß aus dem Gesicht mit einem wollenen Strumpf. ‚Seid Ihr wohl nach Haus
gekommen?’ sagte der Quäker. ‚Wenn’s Euch recht ist, so wollen wir jetzt unsern
Tausch wieder aufheben, er ist ohnedem nicht gerichtlich bestätigt. Gebt mir
mein Rößlein wieder, das Eurige steht vor der Tür’. Als sich nun der Spitzbube
entdeckt sah, wollte er wohl oder übel, gab er dem Quäker sein gutes Pferd
zurück. ‚Seid so gut’, sagte der Quäker, ‚und gebt mir jetzt auch noch zwei
Taler Rittlohn; ich und Euer Rößlein sind miteinander zu Fuß spaziert’. Wollte
der Spitzbube wohl oder übel, mußt er ihm auch noch zwei Taler Rittlohn
bezahlen. ‚Nicht wahr das Tierlein läuft einen sanften Trab’, sagte der Quäker.
P.S. 6.5.2014: Eine schöne Interpretation dieser Geschichte unter dem Stichwort "Gelassenheit" findet man neuerdings bei Thomas Strässle: Gelassenheit - Über eine andere Haltung zur Welt, München 2013, S. 83-86.
P.S. 6.5.2014: Eine schöne Interpretation dieser Geschichte unter dem Stichwort "Gelassenheit" findet man neuerdings bei Thomas Strässle: Gelassenheit - Über eine andere Haltung zur Welt, München 2013, S. 83-86.