Zur Geschichte der gewaltfreien
Bewegung in Westdeutschland zwischen Kriegsende und außerparlamentarischer
Opposition
Weiter unten findet man eine spannende Projektskizze über ein Themenfeld, mit dem sich Dr. Wolfgang Hertle (Hamburg) viele Jahre beschäftigt. Er sucht nun nach Möglichkeiten, im Gespräch, in Seminaren und Veranstaltungen mit Menschen verschiedener Generationen über wesentliche Fragen in der Geschichte wie in der Gegenwart der gewaltfreien Bewegungen zu sprechen und gemeinsam zu lernen.
Es geht weniger um die Geschichte einzelner Verbände, als darum zu verstehen, wie sich die Idee und die Praxis der gewaltfreien Aktion in Deutschland entwickelt haben:
-Wie schlug das sich das gewaltfreie Prinzip zur Praxis nieder, entgegen der Widerstände im angepassten, legalistischen Deutschland ?
-Ging es allein um die Verhinderung des Schlimmsten (Krieg und Diktatur) oder konnten sich alternative Zielvorstellungen von einer gerechteren und gewaltärmeren Gesellschaft gegen die Normen der beiden deutschen Staaten im Kalten Krieg artikulieren?
Dies sind auch heute höchst aktuelle Fragen, defensive gewaltfreie Aktionen werden unzureichend bleiben. Wenn wir betonen, dass Ziele und Mittel übereinstimmen sollen, folgt zwingend die Frage, welche Kriterien eine gewalfreie oder mindestens gewaltärmere Gesellschaft aufweisen müsste. Daraus ergäben sich Hinweise auf die Strategie und die Organisierung der gewaltfreien Bewegung.
Da ich Wolfgang Hertle und das Hamburger Institut für Sozialforschung von eigenen Besuchen her kenne, unterstütze ich das Projekt gerne. Hertle ist auch bereit, vor Ort über sein Projekt und über Friedesnsarbeit zu sprechen - sicher eine lohnenswerte Sache (Kontakt: Dr. Wolfgang Hertle, Waterloostr. 18, 22769 Hamburg)
Projektskizze
Bisher fehlt eine ausführliche Darstellung der Gruppierungen, Diskussionen, Schriften und Aktionen der Bewegung für gewaltfreien Widerstand in Deutschland. Interessante Erfahrungen sind weitgehend vergessen, könnten aber das Selbstbewusstsein der heutigen stärken, wenn sie in die Erinnerung zurückgeholt werden. Die geplante Arbeit legt ihren Schwerpunkt auf die Zeit zwischen 1945 und 1968 sowie auf Westdeutschland.
Probleme
Bewegungsgeschichte zu schreiben, bzw. eigenständige Traditionen zu bilden
liegen im schwachen Selbstbewusstsein dieser Bewegung, den Unterschieden ihrer
weltanschaulichen Wurzeln und dementsprechend ihrer politischen Konsequenzen.
Hinzu kommt eine schwache Traditionsbildung, die Jüngeren beginnen subjektiv
jeweils von vorne bzw. wissen wenig von ihren Vorgängern. Daher kamen Anstöße
zum praktischen Engagement oft aus dem Ausland über bekannte Vorbilder wie die
indische Unabhängigkeitsbewegung (Mahatma Gandhi) oder der US-Bürgerrechts-
bewegung ( Martin-Luther King) bzw. durch Erfahrungen bei Friedensdiensten im
Ausland.
Zwei Arten
von Quellen- und Traditionsbildnern
- Pazifistische
Organisationen wie der Internationale Versöhnungsbund (VB), die Internationale
der Kriegsdienstgegner (IdK) und der Verband der Kriegsdienstverweigerer (VK)
publizierten eigene Zeitschriften und Broschüren in höherer Auflage. In den
Heften von “Versöhnung“ (1947-1969), Vorläuferin der Zeitschrift „Gewaltfreie
Aktion“, “Friedensrundschau“ (1947-1966) und „zivil“ (1958-1974) war
Gewaltlosigkeit/ Gewaltfreiheit häufig Thema, woraus nicht unbedingt zu
schließen ist, dass dies die Leitlinie für Theorie und Praxis dieser Verbände
darstellte.
- Es
waren eher Einzelne bzw. kleine Gruppen am Rande, innerhalb wie außerhalb
dieser Verbände, die darauf drängten, dass gewaltfreie Prinzipien nicht verbal
bleiben, sondern sich durch Praxis in Aktionen äußern müsse. Der apolitische Pazifismus
der Verbände, Kompromissergebnis
zwischen bürgerlichen, sozialdemokratischen und kommunistischen Fraktionen
frustrierte diese Minderheitengruppen, weshalb ein Teil von ihnen es vorzog,
unabhängige Gruppen zu bilden, um eindeutiger und effektiver arbeiten zu
können. Diese Gruppen veröffentlichten Rundbriefe und organisierten
Fortbildungsseminare, z. B. im Internationalen Freundschaftsheim Bückeburg.
Erwähnt werden sollen an dieser Stelle
-Personen
-wie
die beiden Heidelberger Studenten, die Im Dezember 1951 die evakuierte Insel
Helgoland besetzten und sie letztlich vor der Zerstörung durch RAF-
Bombenabwürfe retteten. Oder
-Prof.
Nikolaus Koch mit seinem ambitionierten Programm gegen den „modernen Fünfkrieg“
und den Schulungen für „Freiwillige“ in Witten-Bommern
-die Hamburger Gruppe engagierter Buddhisten
„Die Streitlosen“(1952-1954), die vom Koreakrieg für deutsch-deutsche
Friedensarbeit mobilisiert wurden,
-Der
Hamburger „Aktionskreis für Gewaltlosigkeit“ (1956-1963), aus dem ab 1960 die
Initiative für die ersten Ostermärsche gegen Atomwaffen hervorging
(insbesondere durch Helga Stolle und Konrad Tempel).
-Die
Stuttgarter Gruppe „Gewaltfreie Zivilarmee“ (1962-1965) mit Theodor Ebert und
Wolfgang Sternstein, die u. a. das Nachrichtenblatt für gewaltfreie
Aktionsgruppen „konsequent“ herausgab.
-Die
Hannoveraner Gruppe „Direkte Aktion u. a. mit Wolfgang Zucht und ihre
gleichnamigen Blätter für Anarchismus und Gewaltlosigkeit (1964-1966)
Diese Gruppen sind wenig bekannt, daneben gab es zwischen
1956 und 1966 weitere Gruppen in Berlin (Studienkreis für Fragen des
gewaltlosen Widerstandes), Hannover (Arbeitskreis für Fragen des
nichtverletzenden Widerstands), Kiel (Aktionskreis für Gewaltlosigkeit),
Frankfurt (Arbeitskreis für Gewaltlosigkeit), Braunschweig, aber auch
Initiativen für ein deutsches „Komitee der 100“ sowie diverse Aktionen Zivilen
Ungehorsams in Nordrhein-Westfalen, Hessen und Niedersachsen, meist im Rahmen
der WRI Sektionen IdK und VK, die noch weitgehend unerforscht sind.
Unzureichend untersucht sind bisher auch größere Aktionen
wie der „Verhandlungsgang für den Frieden“ 1953 von Hamburg über Bonn nach
Ost-Berlin. Oder der „San Francisco - Moskau – Marsch“, der 1964 Deutschland
durchquerte.
Zu den Quellen:
Zeitschriften:
Folgende
Zeitschriften und Rundbriefe enthalten besonders viele Hinweise auf die
Entwicklung der zu untersuchenden Bewegungsströmung:
Friedensbote, bzw. Friedensrundschau,1947-1966
Versöhnung, 1947-1969
Informationen bzw. zivil
Das Gewissen
Der Christ in der Welt
konsequent
Direkte Aktion
Werkhefte
Bestände in folgenden Archiven:
Archiv Aktiv (Hamburg): Gertrud
Westhoff, Korntal;
Dr. Lothar Schulze, Hannover,
IdK Berlin, „Die Streitlosen“
Evangelisches
Zentralarchiv, Berlin Wilhelm Mensching
Internationales Freundschaftsheim Bückeburg
Internationaler Versöhnungsbund
Forschungsstelle
für Zeitgeschichte (Hamburg): Theodor Michaltscheff, IdK (1947-1966)
Hamburger
Staatsarchiv Verband
der Kriegsdienstverweigerer (H. Stahnke)
Friedrich
Ebert-Stiftung, Bonn Helmut
Hertling, Christel Beilmann
Hamburger
Institut für Sozialforschung Konrad Tempel, Arbeitskreis für
Gewaltlosigkeit,
Ostermarsch der Atomwaffengegner
Dr. Herbert Stubenrauch, Frankfurt
Klaus Marwitz, Hannover/Bremen
Staatsarchiv
Düsseldorf Internationale
der Kriegsgegner
Deutsche
Friedensgesellschaft
Verband der Kriegsdienstgegner
Staatsarchiv
Darmstadt Hanne
und Klaus Vack
IISG,
Amsterdam War Resisters’
International
Privatsammlung Prof.
Andreas Buro, Grävenwiesbach
Prof. Egon Becker,. Kronberg
Mit einigen
Zeitzeugen habe ich in den letzten Jahren zeitgeschichtliche Gespräche und zum
Teil ausführliche Tonbandinterviews
geführt, darunter
Christel
Beilmann; Horst Bethmann, Theodor Ebert, Günter Freitag, Dr. Hildegard
Goss-Mayr, Dr. Hans Gressel,
Arnold Haumann, Dr. Helmut Hecker, Dr. Rolf Hinder, Prof. Nikolaus Koch, Ilse
Köhler, Dr. René Leudesdorff, Dr. Lothar Schulze, Dr. Reiner Steinweg, Dr.
Wolfgang Sternstein, Dr. Herbert Stubenrauch, Helga und Konrad Tempel, Hanne
und Klaus Vack.
Andere
Zeitzeugen habe ich erlebt, aber nicht rechtzeitig bzw. ausreichend befragen
können,
so Prof.
Gustav Heckmann, Helmut Hertling, Günter Frucht, Heinz Kloppenburg, Rosel
Lohse-Link, Wilhelm Mensching, Agnes Rösler, Wilhelm Ude,Trude Westhoff.
Zu befragen
bleiben u. a. Prof. Egon Becker, Prof. Arno Klönne, Günter Fritz,
Nicht
nur in Archiven und am Schreibtisch:
Neben der
einsamen Arbeit, aus unzähligen Puzzle-Teilen eine einigermaßen repräsentative
„Geschichte“ zu schreiben, möchte ich gern einen kollektiveren Prozess des Forschens,
Lernens und Verbreitens der Ergebnisse anregen durch:
- Vorträge
über einzelne Personen, Organisationen und Gruppen, Zeitschriften, Bildungs-
und Begegnungsstätten, transnationale Kontakte und Lernprozesse
- Bildungsurlaubsreisen an Orte bemerkenswerten
Widerstandes (z.B. Dreyecksland, Gorleben, FREIe HEIDe, Larzac)
- Recherchen
vor Ort zusammen mit Zeitzeugen und jüngeren Aktiven sowie an Zeitgeschichte
Interessierte
- Tagungen
mit ZeitzeugInnen und jüngeren Aktiven sowie an Zeitgeschichte Interessiert
- Studientage
mit DoktorandInnen und sonstigen an Bewegungsgeschichte Interessierten
Wolfgang Hertle
Wolfgang Hertle
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