Viele der handschriftlichen
Lebenserinnerungen zu der Waldschule in Dresden-Klotzsche werden in der Autographensammlung der SLUB, also der Sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek, aufbewahrt,
darunter auch solche der ehemaligen Schüler und Schülerinnen der Waldschule.
Was von außen wie ein Westwallbunker aussieht, ist innen ein Schatzkästlein nicht allein der Pollatz-Forschung: die inzwischen nicht mehr ganz so neue SLUB in Dresden (2012).
Kennt man deren Namen, ist es für jeden Benutzer relativ einfach, an neue Quellen heranzukommen – entweder über Sammlung in
Bibliotheken bzw. Archiven oder über Kontaktieren von Nachgeborenen. Beides
beschäftigt mich schon seit Jahren. Von dem, was ich bekommen habe, möchte ich jetzt
gerne etwas an andere zurückgeben. Daher berichte ich heute über einige Aspekte der
Waldschule zu Klotzsche, die vielleicht noch nicht so bekannt, aber durchaus
interessant sind.
Werbung musste sein: Zeitungsannonce von 1918.
Dass an der Waldschule die Kunstpflege einen hohen Stellenwert eingenommen hat, liegt auf der Hand. In Klotzsche gab
es den „Verein zur Pflege der Jugend“, der regelmäßig in der Schule zu einem
„5-Uhr-Tee“ einlud. Auf die Initiative des Vereins konnte sich die Waldschule
ein Piano anschaffen, auf dem mehr oder wenig begeistert geübt wurde. Bei der
ersten Musikfeier begrüßte Lili Pollatz „Frl. Gertrud Harlsinger, Frl. Lotte
Böttger und Frl. Marianne Tunder“, die in Klotzsche häufiger auftraten.
Neben der Musik war man an der
Schule auch an geeignetem Lesestoff interessiert. Manfred Pollatz, der später
einmal die Gemeindebibliothek von Klotzsche (Auenstraße) einrichten sollte,
baute zuvor an der Waldschule die Hausbibliothek auf; u.a. wurde Andrees
Handatlas, Brehms Tierleben, Lurgers Techniklexikon, ein Englischlexikon,
Onckens Weltgeschichte, Singers Künstlerlexikon und Springers Kunstgeschichte
angeschafft. Es waren Standardwerke, ansonsten las man die Klassiker, von
Reformpädagogen wurde hingegen nichts angeschafft, bzw. ist in den
Bestandslisten nichts angeführt.
Am wichtigsten der künstlerischen
Fächer war vielleicht der Mal- und Zeichenunterricht. Die Kinder durften sich
oft selbst aussuchen, was zu zeichnen war oder wurden losgeschickt, passende
Objekte zu finden. In einem Tagebuch wird einmal von einer Muschel berichtet,
die ein Kind mitbrachte, welches bis zur Elbe und zurück gelaufen war. Meist
waren es aber Landschafts- und Tierzeichnungen.
Für den Zeichenunterricht war es
gelungen, eine besonders talentierte und engagierte Lehrkraft heranzuziehen,
die wöchentlich einmal halbtags an der Waldschule lehrte: Gertrud Caspari (1873
in Chemnitz; 7. Juni 1948 in Klotzsche). Caspari war als
Kinderbuchillustratorin tätig, also auf einem Gebiet, welches auch Lili Pollatz
sehr am Herzen lag.
Das Grab der Kinderbuchillustratorin Caspari auf dem Neuen Friedhof Klotzsche.
Die Mitarbeit Casparis war eine
echte Bereicherung, die manches möglich machte: Einmal jährlich fand eine kleine Kunstausstellung in der Waldschule statt, zu der viele Klotzscher gerne kamen,
weil in der Kriegszeit hier Lili Pollatz den Besuchern echten Kaffee
ausschenkte. Glücklicherweise hat sich eine Klasse vollständig an der
Ausstellung beteiligt und wir können heute über die signierten Zeichnungen
diese Klasse namentlich erfassen:
Quinta,
1917/18:
Clara
Hedwig Achner
Paul
Czerny
Arthur
Felix Faber
Bertha
Faber
Margarthe(oder
a) Helene Hüttig
Herrmann
Nagel
Max
R. Obenaus
Carl
Eduard Pallitzsch
Theodor
Saarkamm
Gezeigt
wurden Arbeiten aus dem „Nadel- und Zeichenunterricht, aus
Werktätigkeit und Naturgeschichte“. Die Veranstaltungen fand statt
im Rahmen des „Jugenddanks“. Dabei handelte es sich um eine Aktion, bei der Jungen und Mädchen kleine
Kunstarbeiten für schwer verwundete Soldaten oder Hinterbliebene
anfertigten. In Sachsen wurde dazu 1917 unter dem Vorsitz des
Kultusministers der „Sächsische Jugenddank“ gegründet. Gleichzeitig wollte man einer empfundenen oder tatsächlich eingetretenen Verrohung der Sitten an den Schulen entgegenwirken, auch an privat geführten.
Ein loser Kontakt bestand
zwischen der Waldschule, bzw. der Familie Pollatz, und dem „Bund der
Kinderreichen“. Am 12. Juli 1921 war Lili Pollatz der Ortsgruppe
Klotzsche-Hellerau beigetreten. Unter den 200 Kindern waren auf Festen und
Veranstaltungen oft auch die Pollatz-Kinder und andere Schüler der
Waldschule zu finden. Der Vorsitzende, ein „Ministerial-Rat Schulze“, hatte
selbst seine Tochter der Waldschule für zwei Jahre anvertraut.
Auch Lustiges aus jenen Jahren darf berichtet werden: Manfred Pollatz, obwohl an sich ein ernster Pädagoge und
gedankenvoller Humanist, hatte eine menschliche Schwäche: nicht Zigaretten,
andere Frauen oder Alkohol, sondern das Karnevalsfest. Leider wissen wir nicht,
in welcher Verkleidung Manfred (und vielleicht auch Lili) Pollatz gefeiert
haben. An den Umzügen und Festveranstaltungen im Kurhaus nahmen die Waldschüler
aber regelmäßig teil, die Kostümierung wurde unter Leitung von Lili Pollatz
schon in den Wintermonaten zuvor liebevoll und einfallsreich angefertigt.
Kein Karneval ohne Pollatz
– auch ernste Menschen wollen und dürfen einmal am närrischen Treiben teilhaben.
Nach Schließung der Waldschule
musste die Familie Pollatz eine harte Zeit durchleben: Lili Pollatz war schwer
erkrankt, erlitt eine Fehlgeburt und war in wöchentlicher Behandlung bei Dr.
Richard Arndt (Hauptstraße 37). Manfred Pollatz war zunächst ganz ohne festes
Einkommen und betätige sich als Kommunalpolitiker für die neugegründete Deutsche Demokratische Partei (DDP).
Die erste Wahl nach dem Ende der
Monarchie brachte Pollatz in den Gemeinderat von Klotzsche. Der Listenplatz
Nummer 15 war zwar nicht sehr aussichtsreich, doch Pollatz konnte nachrücken,
nachdem zwei andere Kandidaten wegen Krankheit und aus privaten Gründen die Wahl
nicht annehmen konnten. Manfred Pollatz war zunächst im
Armen-, Einquartierungs- und Wasserwerksausschuss tätig, also bei
Aufgaben im Bereich der Sozialfürsorge. Der wichtigste Tätigkeitsbereich war
hier ab 1919 die Verwaltung der Armenkasse, aus der bedürftigen Einzelfällen
schnell, anonym und unbürokratisch geholfen werden konnte. Einige Monate
später, im Frühjahr 1921, wurde Pollatz zum Beisitzer der
DDP-Ortsgruppe Klotzsche gewählt.
Lili Pollatz bot dann in den
späten 1920er Jahren „Webereilehrgänge für Mädchen“ an, die abwechselnd in
Klotzsche und auf dem Rittergut Limbach (bei Wilsdruff) stattfanden. Die Kosten
für einen solchen Lehrgang betrugen 90 Mark, Verpflegung und Logie in der Villa
der Familie Pollatz war gegen ein Aufgeld möglich, wobei die Kursteilnehmer in
den ehemaligen Unterrichtsräumen der Waldschule untergebracht waren. Ganz
ähnlich war es im Sommer 1923, als sich das Paar Pollatz an der „Woche deutscher,
nordischer, englischer und amerikanischer Jugend“ beteiligten, die in Hellerau
stattfand. Bei der Familie Pollatz waren zwei Mädchen aus England zu Gast, Lili
Pollatz schrieb dazu: „Nach der Rückkehr aus Rähnitz saßen wir noch in der Wohnstube
zusammen, später kam Ingeborg (die Tochter einer Hilfslehrerin, die einst an
der Waldschule Tanz und Gesang unterrichtet hatte) dazu. Die jungen Menschen
sind sehr für den Frieden begeistert und haben auch ein Verständnis für die
Grundlagen, die den Frieden ausmachen. Dazu habe ich Ihnen einen Artikel in
englischer Sprache vorgelesen, den mir Sullivan vorletzte Woche zugeschickt
hat. Wir müssen uns mehr um die Jugend aktiv kümmern, durch ein Christentum der
Tat, das aus dem Inneren kommt und uns damit umso stärker Ergreifen kann“. 1925
gab es dann erneut einen „Kinder-Austausch“, diesmal zwischen Klotzsche und dem
Rheinland. Die Fahrt wurde vom Verlag „Die schaffende Frau“
(Richard-Wagner-Straße) mitfinanziert. Es ist nicht hundertprozentig erwiesen,
dass hier auch Kinder der Pollatzfamilie teilnahmen, aber eine ehemalige
Schülerin der Waldschule erwähnt eine Kameradin „Marianne P.“, womit vermutlich
die älteste Tochter der Pollatz-Familie, die stets etwas kränkelte, gemeint
war.
Obwohl selbst in finanzieller Not
beteiligte sich Lili Pollatz auch an Erwerbslosensammlungen; so in Kooperation
mit dem Geschäftsmann August Schaaf für den Erwerbslosenrat Groß-Dresden. Bei
der Jahressammlung 1922 kamen auf den Vogelwiesen nicht weniger als 2.170.000
Mark zusammen, die zum Teil Erwerbslosen in Klotzsche zu Gute kamen, da die
Familie Pollatz, zusammen mit der Bezirkspflegerin Dabis, mit Hilfe der Gelder
die jährliche Weihnachtsfeier am Ort für Erwerbslose bestreiten konnte. Es konnte,
neben einem kleinen Weihnachtsgeschenk, auch ein Erholungsurlaub für Kinder
angeboten werden; Lili Pollatz berichtete rückblickend: „Es sind dann 38
erholungsbedürftige Kinder für volle sechs Wochen in einem herrlich gelegenem
Kinderheim in der Schweiz untergebracht worden, die vor einigen Wochen frisch
und blühend und mit runden Backen in die Heimat zurückgekehrt sind. Einige der
Kinder hatten bis zu 14 Pfund zugenommen! Die Kinder stammen alle aus
notleidenden Kreisen; maßgebend für die Auswahl war vor allem der
Gesundheitszustand. Voll- und Halbwaise erhielten in dem Kinderheim ganze
Freistellen, für die übrigen zahlten die Eltern einen ganz geringen Beitrag.
Außer diesen 38 Kindern fanden noch 10 Kinder Aufnahme, für die die Eltern den
vollen Unterhalt zahlten“.
Manfred Pollatz konnte jedoch
bald nach dem Ende der Waldschule wieder einen Broterwerb finden. Mehr durch
Zufall: In Dresden fand eine Vertreterversammlung des Neuen Sächsischen
Lehrervereins statt, der an einem Wochenende Ausflüge zu Pädagogen in Hellerau
und Klotzsche unternahm. Manfred Pollatz gelang es dann über diesen Kreis, in
dem er auch Mitglied wurde, eine neue Stelle zu finden. Mit diesem Sächsischen
Lehrerverein kam er im April 1925 nach Leipzig, wo er ja einen Teil seiner akademischen
Ausbildung genossen hatte. Aus den Vereinsunterlagen geht hervor, dass Pollatz
maßgeblich diese 19. Hauptversammlung vorbereitete. Hier lag seine Stärke:
Menschen zusammenzuführen und im Hintergrund zu wirken. 4.000 Teilnehmer
mussten versorgt werden, ein Vortragsprogramm war zu entwerfen, Einladungen
mussten verschickt werden. Manfred und Lili Pollatz, die selbstverständlich
mitreiste, sind auf diesem Treffen mit vielen ehemaligen Kollegen
zusammengetroffen, und natürlich auch mit Quäkern, die ja bekanntermaßen sehr
viele Pädagogen unter ihren Mitgliedern hatten und haben.
Hier an der Landesschule setzte Manfred Pollatz nun seine sozial-karitativen Aktivitäten fort, was dieser schöne Bericht
über eine Weihnachtsfeier 1927 belegt:
Sein pädagogisches Wirken an der
Landesschule fand erst ein jähes Ende, als er, wie viele andere, zu
Jahresschluss 1933 durch die Nationalsozialisten in den Zwangsruhestand
versetzt wurde. Was dann geschah, ist eine andere Geschichte.
Das Ende einer
Reformpädagogenkarriere: Pollatz wird in den Ruhestand versetzt.
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