20130111

Quäker der Woche (27): Dietrich Reckefuß

Dietrich Reckefuß wurde auf dem Reckefußhof in Kipshagen (heute in der Gemeinde Exter, Kreis Herford) geboren, und zwar im März 1759. Christoph Reckefuß (gest. 1822) ist sein Bruder, der 1805 nach Amerika (Baltimore, später Shoal Creek, Illinois) auswanderte. Um 1782 soll Dietrich Reckefuß während eines heftigen Gewitters vom Geiste Gottes erleuchtet worden sein. Seit diesem Erlebnis verstand er sich in apokalyptischer Mission und warnte seine Mitmenschen vor den Geschehnissen der Endzeit.
Seit 1788 lebte Reckefuß mit Anna Christine Ilsabein Cordes (15. August 1764 - 27. Februar 1837), der Tochter des Kolonus Cordes zu Wehrendorf, unverheiratet zusammen. Zum Skandal kam es, als er sein etwas lang geratenes Eheversprechen (abgedruckt bei Gedike, Annalen, 1800, 329f.), das er selbst abgefasst hatte, bei seiner Hochzeit zu Pfingsten am 24. Mai 1790 öffentlich vortrug. Nach dem gegenseitigen Eheversprechen wurde die Ehe mit dem „Liebeskuß“ unter zahlreichen Zeugen besiegelt. Die Feier fand ohne ordinierten Geistlichen und ohne Aufgebot statt. Es entbrannte ein langjähriger Streit zwischen dem Preußischen Konsistorium und den Inspirierten um Reckefuß in der Frage, ob diese Ehe gültig sei. Schließlich musste auf amtlichen Druck hin die Rechtmäßigkeit der Eheschließung von einer Quäkerversammlung noch im Jahre 1822, also zweiunddreißig Jahre nach der Hochzeit, bescheinigt werden. Reckefuß zog unmittelbar nach der Hochzeit auf den Kordeshof in Wehrendorf, einem Ortsteil von Valdorf, der heute zu Vlotho im Kreis Herford gehört. Nach Landessitte wurde er nach dem Namen des Hofes auch „Kordesmeyer“ genannt. Seine Frau Christine Cordes war eine selbstbewusste Pietistin, die ihm in seinen radikalen Ansichten kaum nachstand. Beide besuchten regelmäßig die Andachten der Quäkergemeinschaft, zunächst in der Quäkersiedlung Friedensthal bei Pyrmont, dann, ab Oktober 1796, die Versammlungen in Minden.
Zu jener Zeit vertraten die Quäker eine einfache, gemeinschaftsorientierte und moralzentrierte Lebensführung, die am Frühchristentum orientiert war. Vornehmlich die Zeit der Aufbauphase Friedenthals bis ca. 1800 war durch eine mystisch geprägte radikalpietistische Haltung gekennzeichnet. Vorzugsweise solche Männer und Frauen, die zuvor as Inspirierte, als Quietisten und als Separatisten ein religiöses Sonderleben geführt hatten, fanden den Weg zu den Quäkern, was innerhalb der Quäkergemeinschaft zu starken Spannungen führte. In diesen frühen Jahren ist die Anwesenheit des Reckefuß schon ab 1792 nachweisbar, sein Name findet sich in vielen Protokollen der Friedensthaler Versammlungen. Umgekehrt fanden auch Quäker und Quäkerinnen aus Friedensthal den Weg zum Hof des Reckefuß. Dieser wurde über die Jahre hinweg zu einem überregionalen pietistischen Zentrum. Höhepunkte waren der Besuch des englischen Apothekers und Meteorologen Howard Luke (1772-1864) im Jahre 1816 und der Aufenthalt des Inspirierten Carl Otto Heinrich von Tschirschky (1802-1833) 1832. 
In Gesprächen kam Reckefuß schnell auf sein Lieblingsbuch, die Offenbarung des Johannes, zu sprechen. Eine Bibel soll er unablässig bei sich getragen haben. Er rühmte sich, diese mehrmals vollständig gelesen zu haben. Weitere Bücher hielt er für überflüssig und er verfasste auch selbst keine Schriften, obwohl er schreibkundig war. Seine Begeisterung für die Stadt Jerusalem aus der Offenbarung des Johannes ging soweit, dass er plante, eine Reise zu dem historischen Jerusalem nach Palästina zu unternehmen - ob es tatsächlich dazu gekommen ist, ist nicht bekannt. Das Gegenbild zu Jerusalem, Babel, war für Reckefuß die lutherische Amtskirche, von welcher er sich zeitlebens fernhielt. Um 1785 teilte er in Exter innerhalb eines pietistischen Konventikels bei dem Bauern Taeke die Sakramente persönlich aus. In das letzte Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts fallen zahlreiche Konflikte, die er mit der kirchlichen und staatlichen Obrigkeit auszustehen hatte. Vornehmlich der Prediger Ritter zu Baldorf, der Pfarrer Johann Ernst Mumperow zu Stift Berg (Herford) und der Amtmann Stuve in Vlotho erwiesen sich als ihm nicht freundlich gesonnen. Ihm wurde unter anderem vorgeworfen, seine Mitmenschen zu duzen, seine Kopfbedeckung vor Autoritätspersonen nicht abzunehmen und Ähnliches an abweichendem Verhalten. Ab 1790 hatte sich das geistliche Departement in Berlin unter Christian von Wöllner (1732-1800) mit Dietrich Reckefuß zu befassen, da die Mindensche Regierung den Fall Reckefuß an das Staatsministerium weiterverwiesen hatte. Hauptstreitpunkt war immer noch die Gültigkeit der Ehe. Ende des Jahres 1790 wurde Reckefuß für einen Monat bei Wasser und Brot arretiert. Er konnte dadurch jedoch nicht dazu gebracht werden, sich nachträglich von einem lutherischen Geistlichen trauen zu lassen, um seiner Ehe die „rechtmäßige“ Gültigkeit nach preußischem Staatsrecht zu verschaffen. Da er, unterstützt von seiner Frau, seine Einstellung nicht änderte, versuchte die Regierung, ihn durch ständige kurzzeitige Haftstrafen über das Jahr 1791 zu zermürben. Dies misslang. Auch außerhalb der preußischen Grenzen verstärkte sich gegen ihn der kirchliche Druck. Um das Jahr 1804 musste von den Kanzeln der lutherischen Kirchen in Isselhorst, Superintendantur Ravensberg, eine Verordnung verlesen werden, dass kein Einwohner Dietrich Reckefuß beherbergen dürfe. Im Falle des öffentlichen Predigens sollte er über die Landesgrenzen geschafft werden. 
Am 4. Juli 1803 wurde Reckefuß offiziell als Mitglied in die Quäkergemeinschaft aufgenommen. Kurz zuvor, am 6. September 1802, war seine Frau Christine Reckefuß in die Gemeinschaft aufgenommen worden und Reckefuß folgte mit seinem Eintritt der Auffassung der Quäker, dass beide Ehepartner Mitglied der Gesellschaft sein mussten, unabhängig davon, ob die Ehe vor oder nach der Aufnahme in die Gemeinschaft geschlossen worden war. Die Aufnahme des Dietrich Reckefuß gestaltete sich jedoch äußerst langwierig und war mit Schwierigkeiten behaftet. Am 1. März 1803 wurde der Ausschuss, der vor der Aufnahme den Lebenswandel des Reckefuß zu prüfen hatte, um die Quäker Ludwig Heydorn (1751 - 18. November 1832) und Konrad Galle (1752 - 11. Juni 1826) erweitert, ein sehr ungewöhnliches Verfahren. Zwei mal wurde das Verfahren um die Aufnahme sogar ausgesetzt, nämlich am 6. Oktober 1801 und am 2. November 1801. Offensichtlich lag der Grund für die Verzögerung jedoch nicht bei den Quäkern, sondern bei Reckefuß selbst. Das mühevolle langjährige Procedere zeigt, dass an einem Lebenswandel und an einer Gesinnung nach den Grundsätzen der Quäkergesellschaft nicht nur Interesse bestand, sondern dass solches bei erfolgter Aufnahme auch vorausgesetzt werden kann: Entweder hatte Reckefuß seine radikalpietistischen Ansichten verworfen, oder diese Ansichten gingen mit denjenigen der Gemeinschaft konform. Die nächsten Jahre verliefen zunächst ohne besondere Vorkommnisse. Offensichtlich konnte sich das Ehepaar Reckefuß gut in die Quäkergemeinschaft einleben. Ämter oder besondere Aufgaben hat Dietrich Reckefuß jedoch nicht übernommen, er scheint mehr durch Kommentare und Mahnworte in Erscheinung getreten zu sein als durch tätige Mitarbeit. Am 8. Februar 1810 musste er eine bemerkenswerte Aussage im Schulzimmer zu Pyrmont vor Zeugen unterschreiben, die anschließend zu den Quäkern nach London geschickt wurde. Sie lautete: „Ich verwerfe hierdurch alle unbegründeten Ausdrücke mit meines Namens Unterschrift, die ich nicht Recht für die Zeit eingesehen oder verstanden habe, im Namen des dreieinen Gottes. Johann Dietrich Reckefuß“. Erstaunlich ist die Berufung auf den dreieinigen Gott, da üblicherweise der Trinität bei den Quäkern keine Bedeutung beigemessen wurde. Am 5. Oktober 1826 wurde von den Quäkern bezüglich des Dietrich Reckefuß erneut ein Ausschuss eingerichtet. Er sollte besucht und ermahnt werden, da er gegen „Grundsätze“ der Glaubensgemeinschaft verstoßen haben soll - ein Vorwurf, der nur dann erhoben wurde, wenn wirklich Schwerwiegendes vermutet wurde. Nach langwierigen Untersuchungen und mehrmaligen Anhörungen wurde Reckefuß schließlich 1827 aus der Gemeinde der Quäker ausgeschlossen. Als Anlass werden Absonderung von der Gemeinschaft, religiöse Sonderlehren und das Tragen eines Bartes angeführt. Mit dem Tragen des Bartes kehrte Reckefuß zu seiner alten Gewohnheit zurück, denn bereits 1796 war er wegen eines zwei Jahre ungeschorenen Bartes aufgefallen. 
Folgte Dietrich Reckefuß bei der Aufnahme in die Quäkerkirche seiner Frau, so war es beim Ausschluss Christine, die ihrem Manne folgte, allerdings unbeabsichtigt. An Versammlungen hatte sie schon seit Mitte der zwanziger Jahre nicht mehr teilgenommen. Nach einer längeren Phase der Abwesenheit waren die Quäker nach ihrem Gemeindeverständnis verpflichtet, einen häuslichen Besuch bei ihr abzustatten. Dies war insbesondere notwendig geworden, da seit dem März 1831 der konkrete Verdacht geäußert wurde, dass die Ehefrauen Christine Reckefuß und Anne Christine Charlotte Begemann (genannt Vahrenbrink, 1786 bis um 1870) einen ehelichen Tausch gemacht hätten - und zwar mit ihren Männern Dietrich Reckefuß und Johann Simon Heinrich Begemann. Gemeinsam sollten diese vier Personen in einer „heiligen Liebesgemeinschaft“ unter einem Dache auf dem Kordeshof in Wehrendorf leben. Diesem Verdacht sollte durch einen Ausschuss nachgegangen werden, in welchen die Quäker Heinrich Rabbermann, Ernst Peitsmeyer (1796 - 11. November 1888), Julie Rasche (1804 - 16. März 1838) und Louise Franks (gest. 13. März 1833) berufen wurden. Sie waren beauftragt, dem doppelten Ehepaar einen mahnenden Besuch abzustatten. Ein derartiger Ehetausch musste den Quäkern völlig fremd erscheinen und konnte keinesfalls geduldet werden, wenn man sich den Ruf einer moralisch integren Gemeinschaft erhalten wollte. Der Besuch brachte - aus Sicht des Ausschusses - keinen Erfolg und so wurde in der Sitzung am 1. Februar 1832 in Friedensthal der Ausschluss der Christine Reckefuß wegen „unordentlichen Wandels“ beschlossen. Anschließend wurde ihr von dem Ausschuss das Zeugnis ihrer Entlassung aus der Gemeinde persönlich überreicht. 
Nach ihrem Ausschluss lebten Dietrich und Christine Reckefuß ohne jegliche kirchliche Bindung. Sie veranstalteten weiterhin pietistische Liebesmahle auf ihrem Hof und führten ein zurückgezogenes Leben, wobei Dietrich Reckefuß seinen bescheidenen Lebensunterhalt hauptsächlich durch Spinnarbeiten verdiente. Sein genaues Todesdatum ist nicht bekannt, es muss kurz nach 1833 liegen.

(Erstveröffentlichung BBKL, Bd. 23, 2004, Sp. 1155-1161)

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