20121103

Uwe Kurt Stade: Separatisten in Hohenrode

Dem Heimatforscher Uwe Kurt Stade verdanke ich den Hinweis und Auszüge aus der Chronik von Hohenrode/Rinteln, die wichtige Informationen zur Vorgeschichte des Quäkertums enthält. Ich kenne diese Chronik gut, bewerte die enthaltenen Schilderungen aber etwas vorsichtiger. So leid es mir tut: Quäker hat es in Hohenrode damals nicht gegeben, aber fromme Menschen, die ihnen durchaus ähnlich waren und die später in Bad Pyrmont/Friedensthal zu den Quäkern gekommen sind. Der Artikel "Sie ziehen vor der Obrigkeit nicht den Hut und verweigern Zahlungen" ist für mich Anlass, hier einen kurzen Abschnitt aus meiner "Deutschen Quäkergeschichte" (in Vorbereitung) beizusteuern:

Hohenroder Separatisten – aber (noch) keine Quäker


1640 wurde die Grafschaft Schaumburg zwischen den Grafen zur Lippe (nun Grafschaft Schaumburg-Lippe) und den Landgrafen von Hessen-Kassel (nun Grafschaft Schaumburg) aufgeteilt. Als Folge wurde Rinteln 1651 hessische Garnisonsstadt und 1665 bis 1680 zu einer Festung ausgebaut. Seit 1785 regierte hier der Landgraf Wilhelm IX., der spätere Kurfürst. Bereits seit Anfang der 1760er Jahre war er unter der Vormundschaft der Landgräfin Maria in der Grafschaft Hanau Regent. Wilhelm war allem Neuen, Fremden gegenüber misstrauisch und witterte stets Umsturzpläne. Er hatte vor allem gegen aufklärerische Gedanken erhebliche Vorbehalte und verbot in diesem Zusammenhang 1793 auf seinem Territorium selbst die Freimaurer. Separatistische Bestrebungen wurden scharf bekämpft, die angeblichen oder tatsächlichen „Rädelsführer“ meist in die angrenzenden Territorien ausgewiesen, wo die dortigen Herrscher sehen mussten, wie mit ihnen klar zu kommen war. Ausgerechnet hier, im kleinen, abgelegenen Rinteln, finden sich nun die Wurzeln der späteren Quäkergemeinden.
Nach einem behördlichen Bericht der lokalen Obrigkeit waren Schüttemeier, Schöning und ein gewisser Rademacher die Hauptpersonen einer Gruppe von Radikalpietisten, die sich kurz vor 1790 in Hohenrode und Rinteln zusammengefunden hatte. Die Gruppe traf sich zu Andachten im Hause der Familie Johann Hermann und Christiane Schüttemeier sowie im Hause eines Ehepaars Zähe (auch Zahe). Nach dem Tod ihres Ehemannes im März 1791 schloss sich seine Ehefrau später aber den Quäkern nicht an, da sie „jede äußere Form des Christentums, auch die quäkerische, ablehnte“.
Die Anhänger dieses Rintelner Konventikels besuchten nicht länger die öffentlichen Gottesdienste und weigerten sich, ihre Kinder in die Schulen zu schicken, da der Unterricht meist von Pfarrern gehalten wurde. Am Sonntag arbeiteten sie wie an einem gewöhnlichen Werktag, denn Feiertage oder heilige Zeiten lehnten sie ab. Untereinander, aber auch Fremden gegenüber, benutzten sie das familiäre „Du“ anstatt der zeittypischen Höflichkeitsfloskeln. Ihre neugeborenene Kinder wurden nicht getauft. Offen sprachen sie von ihrem „Inneren Licht“, was, aus Sicht der Lutheraner, nach christlichem Perfektionismus klang, welchen sie strikt ablehnten. Die Frauen liefen in grauer Tracht umher, was sie besonders in der Öffentlichkeit erkennbar und verdächtig machte. Die Männer trugen einfache Jacken, ohne schmückende Knöpfe. Laut Gerüchten soll der Ehestand für sündig erklärt worden sein und man plante, unter den Anhängern und Anhängerinnen die Gütergemeinschaft einzuführen. Bis auf die beiden letzten Punkte waren die übrigen Bestandteil der Lehre und Lebenspraxis der Quäker entnommen, zu denen diese Gruppe, sei es über Literatur oder über persönliche Begegnung, Kontakt gehaben haben musste. Der Rintelner Bürgermeister Gräbe berichtet davon, dass 1790 ein G. F. Baumgarten ein Buch mit einer Widmung angloamerikanischer Quäker besitzen würde. Das Buch ist verloren, der Inhalt der Widmung jedoch bekannt: „George Dillwyn and wife from Burlington in America / Sarah Grubb and Joshua Beale from Cork, Ireland / Leave this Book with G. F. Baumgarten for himself and his friends at Rinteln 15th of 8th month 1790“. Dieses belegt, dass es also einen persönlichen Kontakt zwischen Quäkern und den Rintelner Separatisten gegeben hat.
Kurz darauf muss auch die lutherische Kirche vom Verhalten ihrer abtrünnigen Gemeindemitglieder Kenntnis bekommen haben. Der Pfarrer Murtfeld aus Hohenrode berichtet über diese: „Anno 1791 ungefähr Ende April kam es mir zu Ohren, daß im Flakeschen Hause abends von 8 bis in die Nacht hinein Conventicula gehalten wurden [...]. Indeß diese vermeint coll.[oquium] piet.[atis] waren nicht guten Endzwecks, erwirkten Unruhe im Dorfe und zogen des Abends bei Finstern fremde Leute sogar über die Weser her, die allerhand Unfug anrichteten und Spott über Spott trieben“. Dieser Bartold Henrich Arnold Murtfeld, geboren 1742, war an der Universität Rinteln zum Pfarrer ausgebildet worden und ist bis 1804 in Hohenrode nachgewiesen. Er war als Landpfarrer weniger um den seelischen Zustand seiner Gemeindemitglieder interessiert als vielmehr an den verlorenen Einnahmen. Er berichtete weiter, dass die Leute „hörten auf, uns zu grüßen, sie lästerten auch unsere Religion, nannten die Pfarrer ...pfaffen, unserer Kirche Götzentempel, weigerten die Kindstaufe, schickten ihre Kinder nicht in die Schule, verweigerten mir und dem Küster das Opfer“.
Kurz danach traf sich die Gruppe nicht länger bei Dorothea Flake, sondern bei der erwähnten Witwe Zähe. Dank erhaltener Vernehmungsprotokolle sind die Namen der Teilnehmer an diesen Treffen bekannt. Es waren außer Ludwig Seebohm der Schneidermeister Friedrich Scheffler von der reformierten Gemeinde, der Schuhmacher Anton Friedrich Ernst Schöning aus Almena, Georg Friedrich Baumgarten, Christian Adolph Boedecker, Carl Gottlieb Schraggen, Carl Dietrich Abendkamp, Carl Ludwig Lebenshagen. Weitere Besucher waren Schüttemeier aus Hohenrode, eine Witwe Ocker, ein Blechschmied Voges, ein Schneider Fricke und schließlich zwei namentlich nicht genannte Soldaten des Regiments Loßberg. Die genaueren Familien- und Lebensverhältnisse dieses Personenkreises sind bislang nicht erforscht. Der wichtigste Teilnehmer, vor allem hinsichtlich der nachfolgenden Ereignisse, war Ludwig Seebohm. Interessanterweise heiratete er am 25. November 1789 eine Juliane von Borries (1771-1807), und zwar bereits außerkirchlich und ohne Anwesenheit eines Pfarrers. Dieses ist ein erster Beleg, dass die Separierung von der Amtskirche bereits vor Ankunft der ersten ausländischen Quäker 1790 eingesetzt haben muss, wenngleich die Einzelheiten und Gründe heute nicht mehr rekonstruiert werden können. Dieses Jahr als vermutlicher Beginn der Quäkerkontakte lässt sich auch durch ein anderes Detail belegen, welches wiederum mit Seebohm zusammenhängt: 1789 bestellte Ludwig Seebohm über George Dillwyn vom Meeting for Sufferings in London zwei Ausgaben von Sewels Quäkergeschichte und Barclays „Apologie“ sowie zwanzig Exemplare von Penns „Call to Christendom“, um sie nach Deutschland mitzunehmen.
Auf die Beobachtungen von Murtfeld folgten Verhandlungen mit dem Hochfürstlichen Amt zu Schaumburg. Hintergrund war die am 3. Juli 1791 vorgenommene Zwangstaufe eines am 8. März gleichen Jahres geborenen Sohnes des Separatisten Schüttemeier. Dabei handelte Murtfeld, der das Kind in einer Nacht-und-Nebel-Aktion getauft hatte, auf Befehl des Hochfürstlichen Konsistoriums. Einige Mitglieder der pietistischen Gruppe wurden wegen ihres Separatismus und ihres Missionierens, das als „Proselytenmacherei“ diffamiert wurde, um bzw. kurz vor 1792 aus der Grafschaft Schaumburg ausgewiesen. In Hohenrode ließen jetzt im März 1792 Friedrich Flake (1751-1831) und Hermann Schüttemeier ihre Grundstücke versteigern. Die meisten der Separatisten zogen in das nahe gelegene Waldeck-Pyrmont, wohin Seebohm als Handelskaufmann Kontakte unterhielt und erste Anhänger warb. Das sich in Pyrmont die Geschichte fortsetzte, ist aber eine Folge der Präsenz angloamerikanischer Quäker.

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