Dem Heimatforscher Uwe Kurt Stade verdanke ich den Hinweis und Auszüge aus der Chronik von Hohenrode/Rinteln, die wichtige Informationen zur Vorgeschichte des Quäkertums enthält. Ich kenne diese Chronik gut, bewerte die enthaltenen Schilderungen aber etwas vorsichtiger. So leid es mir tut: Quäker hat es in Hohenrode damals nicht gegeben, aber fromme Menschen, die ihnen durchaus ähnlich waren und die später in Bad Pyrmont/Friedensthal zu den Quäkern gekommen sind. Der Artikel "Sie ziehen vor der Obrigkeit nicht den Hut und verweigern Zahlungen" ist für mich Anlass, hier einen kurzen Abschnitt aus meiner "Deutschen Quäkergeschichte" (in Vorbereitung) beizusteuern:
Hohenroder Separatisten – aber (noch) keine Quäker
1640 wurde die
Grafschaft Schaumburg zwischen den Grafen zur Lippe (nun Grafschaft
Schaumburg-Lippe) und den Landgrafen von Hessen-Kassel (nun Grafschaft
Schaumburg) aufgeteilt. Als Folge wurde Rinteln 1651 hessische Garnisonsstadt
und 1665 bis 1680 zu einer Festung ausgebaut. Seit 1785 regierte hier der
Landgraf Wilhelm IX., der spätere Kurfürst. Bereits seit Anfang der
1760er Jahre war er unter der Vormundschaft der Landgräfin Maria in der
Grafschaft Hanau Regent. Wilhelm war allem Neuen, Fremden gegenüber
misstrauisch und witterte stets Umsturzpläne. Er hatte vor allem gegen
aufklärerische Gedanken erhebliche Vorbehalte und verbot in diesem Zusammenhang
1793 auf seinem Territorium selbst die Freimaurer. Separatistische Bestrebungen
wurden scharf bekämpft, die angeblichen oder tatsächlichen „Rädelsführer“ meist
in die angrenzenden Territorien ausgewiesen, wo die dortigen Herrscher sehen
mussten, wie mit ihnen klar zu kommen war. Ausgerechnet hier, im kleinen, abgelegenen
Rinteln, finden sich nun die Wurzeln der späteren Quäkergemeinden.
Nach einem behördlichen
Bericht der lokalen Obrigkeit waren Schüttemeier, Schöning und ein
gewisser Rademacher die Hauptpersonen einer Gruppe von Radikalpietisten, die
sich kurz vor 1790 in Hohenrode und Rinteln zusammengefunden hatte. Die Gruppe
traf sich zu Andachten im Hause der Familie Johann Hermann und Christiane
Schüttemeier sowie im
Hause eines Ehepaars Zähe (auch
Zahe). Nach dem Tod ihres Ehemannes im März 1791 schloss sich seine Ehefrau
später aber den Quäkern nicht an, da sie
„jede äußere Form des Christentums, auch die quäkerische, ablehnte“.
Die Anhänger dieses
Rintelner Konventikels besuchten nicht länger die öffentlichen Gottesdienste
und weigerten sich, ihre Kinder in die Schulen zu schicken, da der Unterricht
meist von Pfarrern gehalten wurde. Am Sonntag arbeiteten sie wie an einem
gewöhnlichen Werktag, denn Feiertage oder heilige Zeiten lehnten sie ab.
Untereinander, aber auch Fremden gegenüber, benutzten sie das familiäre „Du“
anstatt der zeittypischen Höflichkeitsfloskeln. Ihre neugeborenene Kinder
wurden nicht getauft. Offen sprachen sie von ihrem „Inneren Licht“, was, aus
Sicht der Lutheraner, nach christlichem Perfektionismus klang, welchen sie
strikt ablehnten. Die Frauen liefen in grauer Tracht umher, was sie besonders
in der Öffentlichkeit erkennbar und verdächtig machte. Die Männer trugen
einfache Jacken, ohne schmückende Knöpfe. Laut Gerüchten soll der Ehestand für
sündig erklärt worden sein und man plante, unter den Anhängern und
Anhängerinnen die Gütergemeinschaft einzuführen. Bis auf die beiden letzten
Punkte waren die übrigen Bestandteil der Lehre und Lebenspraxis der Quäker
entnommen, zu denen diese Gruppe, sei es über Literatur oder über persönliche
Begegnung, Kontakt gehaben haben musste. Der Rintelner Bürgermeister Gräbe berichtet
davon, dass 1790 ein G. F. Baumgarten ein Buch
mit einer Widmung angloamerikanischer Quäker besitzen würde. Das Buch ist
verloren, der Inhalt der Widmung jedoch bekannt: „George Dillwyn and wife
from Burlington in America / Sarah Grubb and Joshua
Beale from Cork,
Ireland / Leave this Book with G. F. Baumgarten for himself
and his friends at Rinteln 15th of 8th month 1790“. Dieses belegt, dass es also
einen persönlichen Kontakt zwischen Quäkern und den Rintelner Separatisten
gegeben hat.
Kurz darauf muss auch
die lutherische Kirche vom Verhalten ihrer abtrünnigen Gemeindemitglieder Kenntnis
bekommen haben. Der Pfarrer Murtfeld aus
Hohenrode berichtet über diese: „Anno 1791 ungefähr Ende April kam es mir zu
Ohren, daß im Flakeschen Hause abends von 8 bis in die Nacht hinein
Conventicula gehalten wurden [...]. Indeß diese vermeint coll.[oquium] piet.[atis]
waren nicht guten Endzwecks, erwirkten Unruhe im Dorfe und zogen des Abends bei
Finstern fremde Leute sogar über die Weser her, die allerhand Unfug anrichteten
und Spott über Spott trieben“. Dieser Bartold Henrich Arnold Murtfeld, geboren 1742, war an der Universität Rinteln zum
Pfarrer ausgebildet worden und ist bis 1804 in Hohenrode nachgewiesen. Er war
als Landpfarrer weniger um den seelischen Zustand seiner Gemeindemitglieder
interessiert als vielmehr an den verlorenen Einnahmen. Er berichtete weiter,
dass die Leute „hörten auf, uns zu grüßen, sie lästerten auch unsere Religion,
nannten die Pfarrer ...pfaffen, unserer Kirche Götzentempel, weigerten die
Kindstaufe, schickten ihre Kinder nicht in die Schule, verweigerten mir und dem
Küster das Opfer“.
Kurz danach traf sich
die Gruppe nicht länger bei Dorothea Flake, sondern bei der erwähnten Witwe Zähe. Dank erhaltener Vernehmungsprotokolle sind die
Namen der Teilnehmer an diesen Treffen bekannt. Es waren außer Ludwig Seebohm der
Schneidermeister Friedrich Scheffler von der
reformierten Gemeinde, der Schuhmacher Anton Friedrich Ernst Schöning aus Almena,
Georg Friedrich Baumgarten, Christian Adolph Boedecker, Carl Gottlieb Schraggen, Carl Dietrich Abendkamp, Carl Ludwig Lebenshagen. Weitere Besucher waren Schüttemeier aus
Hohenrode, eine Witwe Ocker, ein Blechschmied Voges, ein Schneider Fricke und
schließlich zwei namentlich nicht genannte Soldaten des Regiments Loßberg. Die
genaueren Familien- und Lebensverhältnisse dieses Personenkreises sind bislang
nicht erforscht. Der wichtigste Teilnehmer, vor allem hinsichtlich der
nachfolgenden Ereignisse, war Ludwig Seebohm. Interessanterweise heiratete er am 25. November
1789 eine Juliane von Borries (1771-1807), und zwar bereits außerkirchlich
und ohne Anwesenheit eines Pfarrers. Dieses ist ein erster Beleg, dass die
Separierung von der Amtskirche bereits vor Ankunft der ersten ausländischen
Quäker 1790 eingesetzt haben muss, wenngleich die Einzelheiten und Gründe heute
nicht mehr rekonstruiert werden können. Dieses Jahr als vermutlicher Beginn der
Quäkerkontakte lässt sich auch durch ein anderes Detail belegen, welches wiederum
mit Seebohm zusammenhängt: 1789 bestellte Ludwig Seebohm über George
Dillwyn vom Meeting
for Sufferings in London zwei Ausgaben von Sewels Quäkergeschichte und Barclays „Apologie“
sowie zwanzig Exemplare von Penns „Call to
Christendom“, um sie nach Deutschland mitzunehmen.
Auf die Beobachtungen
von Murtfeld folgten
Verhandlungen mit dem Hochfürstlichen Amt zu Schaumburg. Hintergrund war die am
3. Juli 1791 vorgenommene Zwangstaufe eines am 8. März gleichen Jahres geborenen
Sohnes des Separatisten Schüttemeier. Dabei handelte Murtfeld, der das Kind in einer Nacht-und-Nebel-Aktion
getauft hatte, auf Befehl des Hochfürstlichen Konsistoriums. Einige Mitglieder der pietistischen Gruppe wurden wegen
ihres Separatismus und ihres Missionierens, das als „Proselytenmacherei“ diffamiert
wurde, um bzw. kurz vor 1792 aus der Grafschaft Schaumburg ausgewiesen. In
Hohenrode ließen jetzt im März 1792 Friedrich Flake (1751-1831) und Hermann Schüttemeier ihre
Grundstücke versteigern. Die meisten der Separatisten
zogen in das nahe gelegene Waldeck-Pyrmont, wohin Seebohm als
Handelskaufmann Kontakte unterhielt und erste Anhänger warb. Das sich in
Pyrmont die Geschichte fortsetzte, ist aber eine Folge der Präsenz
angloamerikanischer Quäker.
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