An der Düsseldorfer Universität wird im Fach Amerikanistik an einer Dissertation zu dem amerikanischen Quäkerpoeten John Greenleaf Whittier gearbeitet. Das war für mich ein Anlass, mich wieder einmal mit seiner wechselvollen Lebensgeschichte zu beschäftigen:
John Greenleaf Whittier zählt zu
den bedeutenden amerikanischen Schriftstellern des 19. Jahrhunderts, er ist der
gewichtigste Literat, den das Quäkertum bislang hervorgebracht hat. Geboren
wurde er am 17. Dezember 1807 in Haverhill (Massachusetts) als Sohn des Farmers
John (gest. 1832) und Abigail (geb. Hussey) Whittier und wuchs mit zwei
Schwestern und einem Bruder auf. In seiner Kindheit las er die gesamte
Bibliothek seines Vaters mehrfach durch - insgesamt sechs Bücher über das
Quäkertum. Schon während der Schulzeit in der District School veröffentlichte Whittier
1826 in der Free Press in Newburyport sein erstes Gedicht. Seine Ausbildung
schloss er 1827/28 an der Haverhill Academy ab. Whittier war stark am
politischen Leben interessiert, konnte sich aber wegen seiner gesundheitlichen
Schwächen nur begrenzt engagieren. Er schlug sich zunächst als Schuhmacher und
Hilfslehrer durchs Leben.
In Boston gab er 1829 den American Manufacturer und
die Essex Gazette heraus, 1830 wurde er Herausgeber der New England Weekly
Review in Hartford, Connecticut, und schloss Freundschaft mit dem Abolitionisten
William Lloyd Garrison (1805-1879). 1832 zog er, da er durch eine verlorene
Kongresswahl in seinen Grundfesten erschüttert war, wieder zurück in seine
Heimat Massachusetts. Er begründete die American Anti-Slavery Society und wurde
1833 für die Gesellschaft gegen Sklaverei nach Philadelphia delegiert. Auch unterzeichnete
er im gleichen Jahr die Anti-Slavery-Declaration (Declaration of Sentiments). Immer
wieder wurde Whittier auch Opfer rassistischer Überfälle und einmal sogar
beinahe zu Tode gesteinigt (1836), was seinem Engagement aber keinen Abbruch
tat. 1835 wurde er zum Abgeordneten des Senats (State Legislature) ernannt und
um näher am Versammlungshaus der Quäker zu sein verlegte er seinen Wohnsitz
nach Amesbury. 1837 ging ohne sein Wissen die erste Sammlung seiner Gedichte in
den Druck, doch erst die Ausgabe von 1838 wurde mit seiner Zustimmung gedruckt.
1838 wurde er Herausgeber des Pennsylvanian Freeman, 1848 von The National Era.
1840 trennte er sich von Garrison und gründete, nachdem er sich zuvor in der
Whig-Partei engagiert hatte, die Liberty Party. Um 1855 favorisierte er die
Republikanischen Partei. Aus gesundheitlichen Gründen zog sich Whittier, der
nie heiratete, für die zweite Lebenshälfte ganz in seine Heimat nach Amesbury zurück
und widmete sich schriftstellerischen Arbeiten. Eng befreundet war er mit
Elizabeth (Lloyd) Howell (1811-1896), entschied sich aber 1859 gegen eine Ehe,
sondern lebte mit seiner Schwester Elizabeth zusammen. 1892 verstarb der
gefeierte Poet in seinem 85. Lebensjahr in Hampton Falls (New Hampshire) an
einem Schlaganfall. In Amesbury wurde er im Familiengrab der Whittier beigesetzt.
Die meisten Gedichte Whittiers wie
auch andere seiner literarischen Arbeiten thematisieren die Sklaverei. Bekannt
wurde er mit den Gedichten „Barbara Frietchie“, „Dear Lord and Father of
Mankind“ und „Song of the Negro Boatmen“. Viele dieser Gedichte wurden
musikalisch zu Hymnen umgearbeitet und dadurch weit verbreitet. Ab 1865 schrieb
er vermehrt über Religion, Alltagsgeschichten, die Natur und das ländliche
Leben in New England und wurde zum damals wichtigsten Heimatschriftsteller der
USA. 1871 gab er eine neue Edition von John Woolmans „Journal“ (eine Art
spirituelles Tagebuch) heraus, welches zur Weltliteratur zählt. Erfolgreich
waren auch „Telling the Bees“ (1857) und vor allem seine Ballade „Snow-Bound“
(1866), sein mit 100.000 verkauften Exemplaren erster Bestseller, der es ihm
möglich machte, von seinen literarischen Arbeiten zu leben, sowie „The
Pennsylvania Pilgrim“ (1872) und „The King’s Missive“ (1881). Whittier, der
seine Erfolge in Amerika hatte und in England wenig geschätzt war, wurde im 20.
Jahrhundert außerhalb des Schulunterrichts kaum mehr gelesen. Vor allem seine
Schriften gegen die Sklaverei (Lays of My Home, and Other Poems, 1843) schien
unter literaturkritischen Gesichtspunkten von zweifelhaftem Wert, durchsetzt
von Sentimentalität und moralischem Unterton. Erst im Laufe der letzten zwanzig
Jahre erfuhr mit dem neuen Interesse an Reformtätigkeiten und Philanthropie gerade
sein frühes literarisches Werk eine neue Aufmerksamkeit, wohingegen der späte
Whittier als Ahnherr des Naturschutzes und der Ökologiebewegung verstanden
werden kann.
(Erstveröffentlichung BBKL, Bd. 32, 2011, Sp. 1492-1500)
(Erstveröffentlichung BBKL, Bd. 32, 2011, Sp. 1492-1500)
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