Wie bereits angekündigt, fand im April 2013 die jährliche Frühjahrstagung des Vereins für Freikirchenforschung in Bensheim statt. In diesem Zusammenhang tagte am 11. April auch die AG „Geschichte der Freikirchen in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg“. Das diesjährige Thema lautete „Untersuchung des Gedenkens an gefallene Soldaten in den Freikirchen“. Wie immer stand das Treffen unter der sachkundigen Leitung von Pastor Reinhard Assmann (Baptistenkirche); spannende und fachkundige Beiträge lieferten u.a. Karl-Heinz Voigt zu den Methodisten und Hartmut Wahl zu den Baptisten- und Brüdergemeinden. Ich hatte mich gerne bereit gefunden, einmal das bewegende Lebensschicksal des Quäkers Karl-Heinz Pollatz (1919-1945) etwas näher darzustellen, wobei auch neu aufgefundene Aufnahmen gezeigt werden konnten. Sein Lebensschicksal fand so viel Interesse, dass ich zusicherte, eine kurze Zusammenfassung seiner Biographie nachzuliefern, da es bislang eine solche noch nicht gibt. Da ich mitten in den Forschungsarbeiten stecke, kann hier selbstverständlich nur ein erster Abriss geliefert werden, an dem zukünftig noch weiter gearbeitet werden muss. Ziel ist ein Aufsatz für die Fachzeitschrift „Geschichte und Gesellschaft“ zum Thema „Kriegsdienstverweigerung und Kriegsteilnahme von Quäkern im 20. Jahrhundert“.
Karl-Heinz Pollatz, um den es hier geht, wurde 1919 in Dresden-Neustadt geboren, als Sohn von Manfred Pollatz (1886–1964) und Lily Pollatz (1883–1946). Er wuchs in Dresden-Klotzsche und im Stadtteil Langebrück auf, zusammen mit seinen drei Geschwistern.
In Klotzsche besuchte er die Volksschule, und nach dem Umzug der Familie nach Haarlem 1934 das „Christelijk Lyceum te Haarlem“ (Abt. HBSb). Dort machte er im 1937 das Abitur, mit der Gesamtnote „gut“. In seiner Freizeit war er bei den niederländischen Quäkern aktiv, so vor allem auch als „Schreiber“ (Vorsitzender) der dortigen Jungfreunde. In dieser Funktion besuchte er 1937 ein Quäkertreffen in England und nahm im August 1938 an der Internationalen Jungfreudekonferenz in Otterden (Kent) teil. Er reiste zwei Sommer, 1936 und 1937, auch nach Frankreich, wo er sich von Paris tief beeindruckt sah und ebenfalls Kontakte mit Quäkern pflegte. Andere Ferienzeiten verbrachte er gemeinsam mit den deutschen Quäkern, wo er insbesondere mit den Familien Fuchs (Berlin), Brückner (Leipzig) und Legatis (Kassel), die alle Kinder in etwa seinem Alter hatten, näher befreundet war. Da beide Eltern Quäker waren, besaß auch Karl-Heinz Pollatz damals automatisch die Mitgliedschaft bei den Niederländischen Quäkern und wurde noch 1946 als Mitglied der „Groep Haarlem“ geführt.
Glückliche Kindheit: Karl-Heinz Pollatz (mit einem Kuchen) © Haverford College Library, PA, QC, PYM Indian Committee, box AA66 |
In Klotzsche besuchte er die Volksschule, und nach dem Umzug der Familie nach Haarlem 1934 das „Christelijk Lyceum te Haarlem“ (Abt. HBSb). Dort machte er im 1937 das Abitur, mit der Gesamtnote „gut“. In seiner Freizeit war er bei den niederländischen Quäkern aktiv, so vor allem auch als „Schreiber“ (Vorsitzender) der dortigen Jungfreunde. In dieser Funktion besuchte er 1937 ein Quäkertreffen in England und nahm im August 1938 an der Internationalen Jungfreudekonferenz in Otterden (Kent) teil. Er reiste zwei Sommer, 1936 und 1937, auch nach Frankreich, wo er sich von Paris tief beeindruckt sah und ebenfalls Kontakte mit Quäkern pflegte. Andere Ferienzeiten verbrachte er gemeinsam mit den deutschen Quäkern, wo er insbesondere mit den Familien Fuchs (Berlin), Brückner (Leipzig) und Legatis (Kassel), die alle Kinder in etwa seinem Alter hatten, näher befreundet war. Da beide Eltern Quäker waren, besaß auch Karl-Heinz Pollatz damals automatisch die Mitgliedschaft bei den Niederländischen Quäkern und wurde noch 1946 als Mitglied der „Groep Haarlem“ geführt.
Entgegen der bisherigen
pädagogisch ausgerichteten Familientradition entschloss Karl-Heinz Pollatz sich
zu einem Medizinstudium, da ein anfangs von ihm angestrebtes Studium
der Archäologie in Paris nicht zu finanzieren war. Die Schriften
Albert Schweitzers sollen dann zu dem Entschluss, Arzt werden zu
wollen geführt haben. So wurde er September 1938 an der
Amsterdamer Universität für das Fach „geneeskunde“
zugelassen, wo er gemeinsam mit vier deutschen Kommilitonen (zwei aus Berlin, einer aus München und einer aus dem Vogtland) ab
Januar 1939 wohnte. Am 14. Juni 1940 wurde er zum ärztlichen
Vorexamen angemeldet und belegte noch drei klinische Semester. Die
vorlesungsfreie Zeit verbrachte er in der von seinen Eltern
gegründeten Schule in Haarlem, wo er den Kindern und Jugendlichen Sport- und
Freizeitaktivitäten anbot, u.a. Rudern, Federball und Cricket,
welches er in England kennen gelernt hatte.
Nach seinem Einzug zum
Wehrdienst (er war weiterhin deutscher Staatsbürger) und
fünfzehn monatiger Dienstzeit ab dem 1. November 1941 konnte er
als Teil der Studentenkompanie weiter studieren. Er gehörte
zunächst zum Infanterie-Ersatz-Bataillon 37, Standort Osnabrück,
dann zur 3. Kompanie, Sanitäts-Ersatz-Abteilung 6, Standort
Riesenberg (Erzgebirge). An der Universität
Münster konnte er sein Studium fortsetzen, 1942/43 wohnte er in der Schulstraße bei dem
Möbelspediteur Hermann Möllring, der ihm bei seinem Umzug
von Haarlem nach Münster behilflich war. Was die Gründe für
diesen späten Wechsel waren – er befand sich bereits im
neunten Semester – ist nicht bekannt. In Münster war er ab dem
1. Februar 1943 wieder immatrikuliert und zum 26. Januar 1944
exmatrikuliert. Vermutlich hatte der langsam das deutsche Hinterland
erreichende Krieg mit diesen Wechseln zu tun: Die Fliegerangriffe
Anfang 1942 und Juni 1943 hatten die Universität derart schwer getroffen, dass es zunächst unklar war, ob ein vernünftiger Lehrbetrieb
überhaupt aufrecht erhalten werden konnte.
1944 erfolgte
die mündliche Promotionsprüfung bei dem Gerichtsmediziner
Heinrich Toebben (1880-1951), den Pollatz schon einige Semester
früher gut kennen gelernt hatte. Als er sich 1943 im zehnten
Semester befand, wurden drei von sechs besuchten Veranstaltungen von
Toebben angeboten. Der heutige Leser vielleicht abschreckende Titel der Promotionsarbeit
lautete „Tod durch Elektrizität“. In dieser Arbeit wurden,
in sachlich-nüchternem Ton, mehrere tödlich
verlaufene Stromunfälle geschildert (die Fälle selbst aber glücklicherweise von
Pollatz nicht durchgeführt). Dieses Thema, welches sich also mit dem Beenden des Lebens und keineswegs
mit seinem Erhalten beschäftigte, und das auch völlig
konträr zum ethischen Denken der Quäker stand, passte gut
in das Interessengebiet seines Doktorvaters, der ihm möglicherweise das Thema vorgab. Dieser hatte
offensichtlich ein Faible für obskure und bizarre Themen; unter
seinen Veröffentlichungen finden sich Titel wie „Über
Kriegsbeschädigungen bei Nerven- und Geisteskranken“ (1919)
„Über den Inzest“ (1925), „Untersuchungsergebnisse an
Totschlägern“ (1932). Blickt man auch nur kurz in diese
Schriften wird schnell klar: das Ziel war nicht das Heilen oder
Helfen, sondern das Klassifizieren in Krankheitstypen und die
forensische Prognostik.
Am 15. Mai 1944 erfolgte
die Ernennung von Karl-Heinz Pollatz zum Mediziner durch das Reichsministerium des Inneren unter Heinrich Himmler, nachdem er am 12. Mai
gleichen Jahres die ärztliche Prüfung bestanden hatte. Nach seinem Studiumsabschluss wurde er mit der
Erkennungsmarke „11249-San.Ers.Abt.6“, also als Reservesanitäter,
zur Front abkommandiert. Zur gleichen Zeit war sein Vater in Dachau wegen seiner Rettung jüdischer Kinder inhaftiert. Möglicherweise wurde die Freilassung des Vaters an die Bedingung geknüpft, dass der Sohn in den Krieg zieht. Eine Kriegsdienstverweigerung hätte für
den jungen Quäker den sicheren Tod wegen Wehrkraftzersetzung
bedeutet, wobei noch nicht einmal sicher erwiesen ist, inwiefern
Pollatz das pazifistische Gedankengut der Quäker verinnerlicht
hatte. Die Zugehörigkeit zur Wehrmacht lässt sich aber
heute genau so wenig leugnen wie seine Einsätze an der Ostfront.
Nicht in Quäkeruniform, sondern in Wehrmachtsuniform: K.-H. Pollatz, um 1944 © UAM
Karl-Heinz Pollatz hat
den Krieg nicht überlebt. Er gehörte zur 58.
Infanteriedivision, zuletzt zum 1. Bataillon. Dieser Truppenteil
rekrutierte sich ab dem 1. Oktober 1942 aus dem Raum Münster.
Seine 58. Division war im Mai 1941 nach Ostpreußen
verlegt worden. Anfang Oktober 1944 wurde diese Division dann unter
Generalleutnant Curt Siewert (1899-1983) beschleunigt in den Raum
Newel (Oblast Pskow) verlegt. Hier konnte sich die Division bis
Februar 1945 halten und musste sich dann über Kragau ins Samland
absetzen, wo sie bis April 1945 zerschlagen wurde. Über
Verbindungen zu den deutschen Quäkern versuchte Manfred Pollatz
nach dem Krieg viele Jahre verzweifelt, etwas über das Schicksal seines
Sohnes in Erfahrung zu bringen. Bei den Recherchen halfen von Berlin aus vor allem Margarethe Lachmund (1896-1985) und Olga Halle (1893-1983). Über Halles mühseliges, hartnäckiges
Nachfragen bei der Kriegsgefangenenhilfe wurde ein Oberstleutnant
Heinz Howarde ausfindig gemacht, der angab, Karl-Heinz Pollatz nach
einem Großangriff der Russen am 14. Januar 1945 noch einmal in
der Nacht vom 21. auf den 22. Januar 1945 zwischen Litzmannstadt und
Random auf einem Verbandsplatz gesehen zu haben. Diese Angaben haben
sich als richtig erwiesen; Karl-Heinz Pollatz verstarb um diesen
Zeitpunkt in Grabina nahe bei Brzeziny. Er ist damit, meines
Wissensstandes nach, der einzige deutsche Quäker, der als Soldat
in Folge von Kampfhandlungen während des Zweiten Weltkriegs
verstorben ist.
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