20130112

Jubiläum ohne Jubel: Richard Nixon, Politiker, Präsident - und Quäker.

2013 ist es so weit: Richard Nixons hundertjähriges Jubiläum steht an. Ein Datum, das so manchen Quäker erschaudern lässt. In Deutschland ist es angebracht einmal zu fragen: Quäker Nixon – ist es wahr? Kann es überhaupt wahr sein? Ja, es führt kein Weg daran vorbei: an der Spitze der einflussreichsten Quäker überhaupt steht leider nicht John Woolman oder Ben Pink Dandelion, sondern: Richard Nixon.
Nixon war neben dem Republikaner Herbert Hoover (1874-1964) der zweite amerikanische Präsident, der der Quäker-Religion angehörte. Was Nixon wirklich vom Quäkertum verstanden hat und in welchem Maße Quäkertum sein Handeln – wenn überhaupt – beeinflussten, bleibt umstritten. Bis in die jüngste Vergangenheit wurde in Quäkerkreisen die Zugehörigkeit Nixons zum Quäkertum heruntergespielt oder gar bestritten. Zwar sprachen sich im Januar 1974 über 200 amerikanische Quäkerversammlungen dafür aus, ihn auszuschließen - doch das fand in seiner lokalen Quäkergemeinde keinen oder wenig Anklang. Es ist bemerkenswert: Mitglieder wurden wegen kleiner Lappalien wie Alkoholkonsum oder Universitätsbesuch ausgeschlossen, aber nicht derjenige, der Hunderttausende von Menschenleben auf seinem Gewissen hat.
Nicht Badman oder Sido haben die bekannteste Maske, sondern Richard Nixon.

In den letzten Jahren ist Nixons Quäkertum erstmals wissenschaftlich näher untersucht worden. Larry Ingle, selbst Quäker und emeritierter Geschichtsprofessor der University of Tennessee in Chattanooga, arbeitet bereits seit Jahren zu Nixon. 2011 waren fünf Kapitel einer Nixon-Biographie abgeschlossen, doch das Projekt geriet unerwartet ins Stocken, nachdem die Nixon-Bibliothek in Yorba Linda sich weigerte, Unterlagen zu der Jugendzeit Nixons und seinem Quäker-Hintergrund herauszugeben. Dennoch ist inzwischen bekannt geworden, dass Nixon schon in früher Jugendzeit die Sonntagsschule der Quäker besuchte und dort die Jüngeren in „Quäkerkunde“ unterrichtete – es wäre lohnend, einmal solche ehemaligen Schüler über den Unterricht Nixons zu befragen. Herkömmliche Zeugnisse der Quäker, wie das Verweigern von Eiden oder der Pazifismus, wurden von Nixon jedenfalls nicht gelebt oder doch zumindest recht eigenwillig interpretiert. Dazu einige Beispiele: Bei zahlreichen Amtseinsetzungen schwörte er auf die Bibel. 1968 wurde er mit dem hochheiligen Versprechen gewählt, den Vietnamkrieg zu beenden, doch Nixon schickte dann 100.000 neue Soldaten an die Front. Es sei eben notwendig geworden. Nach seinem Amtsverzicht erklärte er sein Verständnis von Gesetzesmäßigkeit in der berühmt gewordenen Aussage: „Wenn der Präsident es tut, ist es nicht illegal“. Gleichzeitig hat er aber stets Andachten und Gottesdiensten beigewohnt, die, als er noch Präsident war, im Ostflügel des Weißen Hauses stattfanden. Hier soll es gewesen sein, wo er, auf dem Höhepunkt der Regierungskrise, zu seinem Berater Kissinger sagte: „ich bin kein orthodoxer Quäker, du kein orthodoxer Jude, lass uns gemeinsam auf die Knie gehen und beten“.
Wer war dieser Mensch gewesen?
Richard Milhous Nixon wurde am 9. Januar 1913 in Yorba Linda in Kalifornien geboren, wo sich heute das Nixon Library & Birthplace Museum befindet. Seine Eltern waren der Benzinhändler Francis Anthony und Hannah Milhous Nixon. Hannahs Vorfahren stammten übrigens aus Deutschland; deren ursprünglicher Name war „Milhausen“, daher rührt auch Nixons Mittelname „Milhous“. Beide Eltern gehörten den evangelikalen Quäkern an. Nixons Vater Frank war vor seiner Ehe Methodist gewesen und seiner Frau zuliebe konvertiert, da nach den Grundsätzen der damaligen Quäker ansonsten die Heirat nicht möglich gewesen wäre.
Die Familie lebte strikt alkoholabstinent. Vor allem Hannah erzog ihren Sohn als evangelikalen Quäker in der Hoffnung, dass er einmal Missionar werden würde. Spielen, Tanzen und Fluchen waren verpönt. Nixon verwies in seinen Memoiren auf seine Mutter als „eine quäkerische Heilige“, trotz ihres oft hartherzigen religiösen Fanatismus. Der lokalen Quäkergemeinde, der East Whittier Friends Church (zugehörig zum California Yearly Meeting), gehörte er Zeit seines Lebens an. Aufgewachsen ist Richard mit seinen Brüdern Harold, Arthur, Donald und Edward in der Kleinstadt Whittier, bevor er in Fullerton die High School besuchte. Für seine Leistungen verlieh ihm der Harvard-Club einen Preis, der die Studiengebühren deckte, so dass Nixon das Whittier College, eine nach dem Poeten John Greenleaf Whittier (1807-1892) benannte Hochschule der Quäker, belegen konnte.
In Whittier gründete Nixon seine eigene Studentenverbindung, die Orthogonian-Society, die mit der etablierten Franklin-Society konkurrierte. Nixon, der Football liebte, versuchte, sich für die Universitätsmannschaft zu qualifizieren. Sein Talent für das Spiel war allerdings gering und er verbrachte fast die ganze Zeit frustriert auf der Ersatzbank. Als er doch einmal auf das Spielfeld geschickt wurde, verlor er bei einem Unfall seine Vorderzähne und erhielt eine Zahnbrücke, die später in zahllosen Karikaturen als Gebiss persifliert werden sollte. Nixon wurde zum Präsidenten der Studentenschaft gewählt, und seine größte Errungenschaft war die Organisation eines ersten Schulballs - was bis dahin nach quäkerischer Tradition untersagt gewesen war. Unterstützung in seinem liberalen Verhalten fand Nixon bei seinem Mentor J. Herschel Coffin, einem liberalen Quäker und Professor, der die Evolution lehrte und Theologie mit Philosophie verband. In dieser persönlichen Beziehung sehen die meisten Wissenschaftler heute den Anlass für Nixons faktischen Ausstieg aus dem Quäkertum.
1934 beendete Nixon das College als Zweitbester seines Jahrgangs und begann ein Jurastudium an der Duke University, die ihm ein Stipendium verlieh. Eine der Bedingungen dieses Stipendiums war ein bestimmter Notendurchschnitt. Obwohl Nixon eigentlich keine Mühe hatte, gute Noten zu erzielen, sah er sich unter größtem psychischem Druck. Im zweiten Jahr des Studiums brach er in das Büro des Dekans ein, um Einsicht in die Akten zu nehmen. Nixon wurde dafür nicht zur Rechenschaft gezogen, was er vielleicht als Freibrief für solche Handlungen missverstand. Bei seinem Jurastudium, wo ihm sein rednerisches Talent erneut zustatten kam, erzielte er hervorragende Leistungen und durfte hofften, Arbeit bei einer der prestigeträchtigen Anwaltskanzleien in New York zu finden, was ihm aber während der Weltwirtschaftskrise 1937 ebenso wenig gelang wie ein Einstieg beim FBI. Er legte das kalifornische Anwaltsexamen ab und begann, für eine kleine Kanzlei eines Familienfreundes zu arbeiten. Zu dieser Zeit lernte er Patricia Ryan (1912-1993) kennen, eine High-School-Lehrerin in Whittier, die er am 21. Juni 1940 im Mission Inn in Riverside heiratete. Ryan und Nixon hatten zwei Töchter: Patricia „Tricia“ Nixon Cox (geb. 1946) und Julie Nixon Eisenhower (geb. 1948), welche 1968 David Eisenhower (geb. 1948), den Enkel von Dwight D. Eisenhower (1890-1969), heiratete.
Im Zweiten Weltkrieg diente Nixon bei der US-Marine. Zwar hätte er als geborner Quäker das Recht gehabt, den Militärdienst zu verweigern, doch er entschloss sich, freiwillig in die Marine einzutreten. In seinen Memoiren begründet er diesen Schritt mit seiner Verachtung für Hitler und den Angriff auf Pearl Harbor. Während des Krieges war Nixon Nachschuboffizier im Pazifikkrieg und wurde bis zum Lieutenant Commander befördert. Unmittelbar nach Kriegsende wurde Nixon, der einen für seine Zeit überaus aggressiven Wahlkampf führte, 1946 für die Republikaner in den Kongress gewählt (Wiederwahl 1948), obwohl er sich selbst damit brüstete, nie in seinem Leben gewählt zu haben. Politik war für ihn Krieg, Gegner Feinde und Wahlkampf „die Schlacht“.
1951 wurde er US-Senator für seinen Heimatstaat Kalifornien. Während dieses Wahlkampfes setzte er sich gegen die liberale Herausforderin Helen Gahagan Douglas (1900-1980) durch: Nixon diffamierte sie im hysterisch-antikommunistischen Klima der McCarthy-Ära erfolgreich als Sympathisantin der Kommunisten. Dies brachte ihm den Spottnamen bzw. Ehrennamen „Tricky Dick“ ein, den er auch selbst verwendete.
Unter dem Republikaner Eisenhower war Nixon dann von 1953 bis 1961 Vizepräsident der USA. Gegen Vorwürfe der Korruption wehrte er sich erfolgreich durch einen spektakulären Fernsehauftritt, der sogenannten Checkers-Rede, in der er erklärte, das einzige Geschenk, das er je angenommen habe, sei ein Cockerspaniel Checkers gewesen, und auch diesen habe er nur behalten, um seiner kleinen Tochter Patricia nicht „das Herz zu brechen“. Solche Geschichtchen kamen und kommen beim breiten Publikum immer gut an, und bei der Präsidentschaftswahl 1960 unterlag er nur mit äußerst knapper Stimmenzahl John F. Kennedy (1917-1963). Solche Niederlagen setzten ihn, dem eine ausgeprägte narzisstische Persönlichkeitsstruktur attestiert wurde, persönlich schwer zu, ebenso wie die Drohung seiner Frau, bei dem Weiterverfolgen seiner politischen Ambitionen die Scheidung einzureichen. 1963 gab er nach einer erneuten Niederlage bei den Gouverneurswahlen Kaliforniens seinen Abschied von der Politik bekannt, was er kurze Zeit später revidierte. Bei der Präsidentschaftswahl 1968 setzte er sich schließlich gegen Hubert H. Humphrey (1911-1978) durch und wurde zum 37. Präsidenten der USA gewählt.
Während der Jahre als Vizepräsident unter Eisenhower hatte Nixon eine Abneigung gegen Kabinettssitzungen entwickelt und misstraute der Ministerialbürokratie. Als er ins Weiße Haus einzog, war er von Anfang an entschlossen, mit Hilfe seines Beraters für Sicherheit und Außenpolitik Henry Kissinger (geb. 1923), seines Stabschefs Bob Haldeman (1926-1993), seines Experten für Inneres John Ehrlichman (1925-1999) sowie seines Justizministers John N. Mitchell (1913-1988) selbst zu regieren. Die größte Herausforderung bei Amtsantritt war der Vietnamkrieg. Noch im Wahlkampf 1968 hatte Nixon bekannt gegeben, er werde die inzwischen begonnen Friedensverhandlungen der Regierung unter Präsident Lyndon Baines Johnson (1908-1973) fortführen. Nach seiner Wahl jedoch weitete er den Krieg auf Kambodscha und Laos aus. Auf dem Höhepunkt des Konflikts erwog er in Vietnam sogar den atomaren Erstschlag. 1973 schloss er überraschend einen Frieden, der faktisch einer verzögerten Kapitulation gleichkam. Nixon war der erste Präsident der Vereinigten Staaten, der 1972 zu Staatsbesuchen in die Sowjetunion und in die Volksrepublik China reiste. Im Rahmen seiner Entspannungspolitik unterstützte er nach anfänglicher Skepsis die Ostpolitik von Willy Brandt (1913-1992). Eckpunkte seiner Innenpolitik waren die Bekämpfung der Inflation sowie die Aufgabe der Golddeckung des US-Dollars, die Gründung der Environmental Protection Agency als nationale Umweltbehörde und die Bekämpfung der Krebskrankheit.
In der Präsidentschaftswahl 1972 besiegte Nixon seinen Herausforderer George McGovern (geb. 1922) und wurde mit großer Mehrheit im Amt bestätigt: Er erhielt über 60 Prozent der Stimmen und gewann, außer in Massachusetts, in allen Bundesstaaten die Mehrheit. Nixon befand sich auf dem Höhepunkt seines politischen Erfolgs. Zum jähen Absturz, trotz zahlloser vorheriger Bestechungen und Unregelmäßigkeiten, kam es erst durch die Watergate-Affäre. Die Watergate-Affäre ist benannt nach dem im Zentrum Washingtons gelegenen Watergate-Gebäudekomplex, in dem sich Anfang der 1970er Jahre das Hauptquartier der Demokratischen Partei befand. In diesem verhaftete die Polizei in der Nacht zum 17. Juni 1972 Einbrecher, die bereits zum zweiten Mal Abhörwanzen installierten und Dokumente fotografierten. Schon frühzeitig wurde dieses Ereignis in Verbindung mit den im November 1972 anstehenden Präsidentschaftswahlen gebracht. Recherchen der Washington Post und Ermittlungen des FBI offenbarten, dass die Auftraggeber des Watergate-Einbruchs unter engsten Mitarbeitern des Präsidenten beziehungsweise seines Wahlkomitees zu suchen waren. Diese Erkenntnis führte nach Nixons Wiederwahl durch einen Schneeballeffekt zur Aufdeckung weiterer Verbrechen und Vergehen, die in den Jahren zuvor auf Anweisung des Weißen Hauses hin begangen worden waren: Justizbehinderung, illegaler Parteispenden, Steuerhinterziehung, etc. Nixons Versuche, die Ermittlungen zu behindern oder zu begrenzen, stürzten die USA in eine Verfassungskrise und veranlassten das Repräsentantenhaus schließlich dazu, ein Amtsenthebungsverfahren (Impeachment) gegen Nixon einzuleiten. Die in der amerikanischen Geschichte beispiellose Konfrontation der drei Staatsgewalten endete am 9. August 1974 mit dem bislang einzigen Rücktritt eines US-Präsidenten, wobei Nixon sich als das „letzte Opfer des Vietnamkriegs“ betrachtete. Seine Abschiedsrede war mit 400 Millionen Zuschauern die bis dato größte Fernsehübertragung in der US-Geschichte.
Im Gegensatz zu vielen seiner engsten Mitarbeiter wurde Nixon nach seinem Rücktritt nicht verurteilt, da sein Nachfolger Gerald Ford (1913-2006) wenige Wochen nach Ernennung zum Präsidenten eine Generalamnestie für Nixon erließ, die vermutlich schon vor seinem Rücktritt ausgehandelt worden war. Er musste allein aus den staatlichen Anwaltsvereinen in Kalifornien und New York austreten, womit er seine Anwaltslizenz verlor und als Jurist nicht länger arbeiten durfte. Zu dieser Zeit war Nixon erkrankt: Er litt an einer Venenentzündung und musste sich einer Operation unterziehen. Er verkaufte nun seinen kalifornischen Wohnsitz La Casa Pacifica in San Clemente, um nach New York umzuziehen. Einige Jahre später zog der Nixon-Clan nach Saddle River (New Jersey) weiter. Mittlerweile bemühte Nixon sich um ein neues Image als „Elder Statesman“ und Friedensapostel. Über zahlreiche Bücher und der Einrichtung eines Dokumentationszentrums, das man 1990 als „Tempel der Demokratie“ neben dem Grundstück seines alten Elternhauses eröffnete, versuchte er, sein Negativimage aufzupolieren. Im April 1994 erlitt Nixon einen Schlaganfall und verstarb an dessen Folgen am 22. desselben Monats in New York City an einem Herzinfarkt. Er wurde neben seiner Ehefrau in Yorba Linda beigesetzt. Die Grabinschrift ist ein Zitat aus seiner Amtsantrittsrede von 1969: „The greatest honor history can bestow is the title of peacemaker“.
Obwohl oder gerade weil Nixon noch weit vor George W. Bush regelmäßig in Umfragen als der unbeliebteste Präsident aller Zeiten abschneidet, gibt es über ihn zahlreiche, zum Teil recht sehenswerte Filme. Unter der Regie von Oliver Stone entstand 1995 „Nixon“, eine über dreistündige Collage über das gesamte Leben Nixons bis zu seinem Rücktritt. Der Film „Attentat auf Richard Nixon“ von Niels Mueller mit Sean Penn (geb. 1960) aus dem Jahr 2004 schildert einen wenig bekannten Attentatsversuch von 1974 auf das Weiße Haus. „All the President’s Men“ (dt. Titel: „Die Unbestechlichen“) von 1976 und „Secret Honor“ von 1984 stellen die Watergate-Affäre in den Mittelpunkt. Am bekanntesten und wohl auch besten ist der neueste aller Nixon-Filme: „Frost/Nixon“ (2008) von Ron Howard (geb. 1954) erzählt die Geschichte um mehrere Nixon-Interviews, die 1977 zwischen Richard Nixon und dem Talkmaster David Frost (geb. 1939) stattgefunden hatten. Sogar eine Oper (!) wurde inzwischen zu Nixon geschrieben: Seine Reise nach China zum Besuch bei Mao im Jahre 1972 wurde von John Adams (geb. 1947) in „Nixon in China“ verarbeitet.

Lit.: Herbert S. Parmet: Richard M. Nixon: An American enigma, New York 2008; Mark Avrom Feldstein: Poisoning the press: Richard Nixon, Jack Anderson, and the rise of Washington’s scandal culture, New York 2010.

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