Bertha von Suttner gilt als berühmteste Pazifistin ihrer Zeit. Mit Recht kann sie auch als erste deutschsprachige politische Journalistin bezeichnet werden. An zahllosen Weltfriedenskongressen, interparlamentarischen Konferenzen und nationalen Tagungen nahm sie teil und gestaltete diese Treffen oftmals wesentlich mit. Ihre adelige Herkunft ermöglichte ihr den Zugang zu den Entscheidungsträgern, sie war jedoch ebenso eine Hemmschwelle für den persönlichen Kontakt mit den tatsächlichen Opfern von Krieg und Gewalt. Die praktische Tätigkeit in Kriegs- oder Krisengebieten blieb ihr zeitlebens eine fremde Erfahrung. Ihre Stärke war die Rede und vor allem das geschriebene Wort. Zahlreiche Vortragsreisen brachte sie in die europäischen Metropolen wie Prag, Budapest, Rom, Den Haag, Paris und vor allem Berlin (1904, 1905, 1912, 1913). Nach dem Tod ihres Ehemannes war sie vermehrt auf Einnahmen durch derartige Vortragsreisen angewiesen, allein 1905 soll sie während zwei Monaten in 31 deutschen Städten Vorträge gehalten haben. Von ihrer Geisteshaltung her war sie eine echte Europäerin, jeder dumpfe Nationalismus war ihr zutiefst zuwider. Ihre Vision war ein friedliches, und, was heute vergessen scheint, ein soziales Europa. Ihr Engagement galt dem Frieden, der Beseitigung sozialer Missstände und der Einführung rechtlicher Instrumentarien auf europäischer Ebene zur Verhinderung von Kriegen. Hier liegen ihre bleibenden Verdienste.
Zu ihrer Lebenszeit war sie nicht unumstritten. Von den einen als „Friedensbertha“ lächerlich gemacht, wurde sie von anderen als die Galionsfigur einer weltweiten Friedensbewegung verehrt. Besonders die Stadt Wien tat sich schwer mit der Ehrung Bertha von Suttners. Erst 1956/58 wurde ein Bertha von Suttner Denkmal „Die Waffen nieder!“ in Zement und Eisen von dem Künstler Siegfried Joseph Charoux (1896-1967) im Bertha-von-Suttner-Hof (Wien, IV. Bezirk) aufgestellt.
Am 9. Juni 1843 wurde Bertha Sophia Felicita Gräfin von Kinsky von Chinic (Wchinitz) und Tettau im Palais Kinsky zu Prag geboren. Die Familie zählte zum privilegierten österreichischen Hochadel. Einer der Vorfahren, ein Graf Kinsky, wurde 1634 mit Albrecht Wenzel Eusebius von Wallenstein (1583-1634) in Eger ermordet. Da die Familie nicht mindestens sechzehn hochadelige Ahnen nachweisen konnte, besaß sie nicht das Zulassungsrecht am Kaiserhof zu Wien. Der Vater, der k. k. Feldmarschalleutnant und Wirkliche Kämmerer Franz Joseph Kinsky von Chinic (1769-1843), war im Alter von 75 Jahren kurz vor der Geburt seiner Tochter verstorben. Die Mutter, Sophie Wilhelmine Gräfin Kinsky-Körner (1815-1884), eine geborene Körner, war eine Verwandte des Freiheitsdichters Theodor Körner (1791-1813). Die Heirat galt als nicht standesgemäß. Sophie Wilhelmine war eine passionierte Glücksspielerin und vergeudete einen Großteil des Familienerbes in Wiesbaden, Bad Homburg, Baden bei Wien und anderen Badeorten Europas, wozu sie zeitweise ihre Tochter, deren Erziehung ihr zusammen mit dem Vormund Friedrich Landgraf zu Fürstenberg oblag, mitnahm. Ihre frühe Kindheit verbrachte Bertha von Kinsky gemeinsam mit ihrem Bruder Arthur Graf von Kinsky von Chinic (1837-1906) in Brünn, ab 1856 in Wien und ab 1859 in Klosterneuburg bei Wien. Zwischen 1856 und 1872 wurden die Sommermonate gewöhnlich in Badeorten verbracht, die Winterzeit wechselweise in Paris, Rom oder Venedig.
Um 1860 begann Bertha, Klavier- und Gesangsstunden zu nehmen und fasste eine Karriere als Lied- und Opernsängerin ins Auge. 1864 hielt sie sich in Bad Homburg auf, wo sie eine lebenslange Freundschaft mit der Fürstin Ekaterina Dadiani von Mingrelien schloss. Von 1867 bis 1868 schulte sie ihr musikalisches Können an Opernhäusern in Paris, Baden-Baden und anschließend an der Scala in Mailand. Daneben erwarb sie durch Erzieherinnen die standesgemäße Ausbildung in den Sprachen Französisch, Englisch und Italienisch.
Die junge Gräfin, die wegen ihrer hochadeligen Herkunft als gute Partie galt, verlobte sich drei Mal. Ein Verlöbnis mit Gustav von Heine-Geldern (1810-1886) in Wien hielt nur wenige Monate während des Jahres 1862, eine andere 1868 geschlossene Verlobung wurde schon ein Jahr darauf in Paris gelöst. Einer der Verlobten, Prinz Adolf Sayn-Wittgenstein-Hohenstein in Wiesbaden, verstarb 1872 unmittelbar nach der Verlobung auf einer Schiffspassage nach Amerika. Im Sommer 1873 trat Bertha von Kinsky eine Stellung als Erzieherin der vier Töchter im Hause des Baron Karl von Suttner an, eines Spekulanten der Gründerzeit. Sie zog zu dieser Tätigkeit in ein Palais in der Wiener Canovagasse. Eine sich anbahnende Beziehung zu Artur Gundaccar Freiherr von Suttner (1850-1902), dem dritten und jüngsten Sohn der Familie, einem Ingenieur, kam aufgrund von Familiendifferenzen nicht zu Stande. Enttäuscht musste die Gräfin im Herbst 1875 nach Paris abreisen. Dort arbeitete sie als Hausdame und Privatsekretärin für den Industriellen Alfred Nobel (1833-1896). Für lange Zeit stand Bertha von Kinsky/Suttner mit Alfred Nobel brieflich in Kontakt, und von Suttner regte Nobel maßgeblich dazu an, die Idee eines internationalen Friedenspreises in die Tat umzusetzen. Nach dessen Rückkehr nach Schweden begab sich die Gräfin nach Wien zurück. Dort heiratete sie am 12. Juni 1876 in der Pfarrkirche St. Ägyd (Wien-Gumpendorf) Artur Gundaccar von Suttner.
Die nächsten neun Jahre lebte das Paar im Kaukasus, in den Städten Kutais, Tiflis und Zugidi. Die meiste Zeit verbrachten sie am Hof der Fürstin Ekaterina Dadiani von Mingrelien (Westgeorgien). Ihren Lebensunterhalt verdienten sie durch Musizieren, Sprachunterricht und durch Schreibarbeiten. Im Mai 1885 kehrten beide Suttners nach Wien zurück, die Familien Kinsky und Suttner versöhnten sich. Das Paar konnte nun Harmannsdorf, das Gut und Familienschloss der Suttners im Waldviertel zu Eggenburg, beziehen. Den Winter 1890/91 verbrachte das Paar in Venedig. Hier regten sie die Gründung der „Friedensgesellschaft Venedig“ mit an. Dabei lernte Bertha von Suttner den Marchese B. Pandolfi kennen, der ihr weitere Vertreter der „Interparlamentarischen Konferenzen“, die sich ab 1910 „Interparlamentarische Union“ nannte, vorstellte. In dieser Vereinigung trafen sich pazifistisch gesinnte Parlamentarier verschiedener Länder und Nationen. Auch eine „Österreichische Gesellschaft der Friedensfreunde“ sollte gegründet werden, nachdem sich eine eigene „Interparlamentarische Gruppe Österreich“ aufgrund Differenzen im linken Parteienspektrum nicht gründen ließ. Zu seiner Vorbereitung setzte von Suttner am 3. September 1891 in die Wiener Tageszeitung „Neue Freie Presse“ einen Gründungsaufruf. Der Erfolg war überwältigend. Die „Österreichische Gesellschaft der Friedensfreunde“ wählte Bertha von Suttner zu ihrer ersten Präsidentin, eine Funktion, die sie bis zu ihrem Tode 1914 inne hatte. Als offizielle Vertreterin Österreich-Ungarns nahm sie vom 11. bis 14. September 1891 an der „Dritten Weltfriedenskonferenz“ in Rom teil. Dort hielt sie erstmals eine öffentliche Rede, was, im Verhältnis zu den wenigen teilnehmenden Frauen, ein bemerkenswertes Ereignis war. Sie wurde im November 1891 zur Vizepräsidentin des Internationalen Friedensbüros gewählt. Auch ihr Mann betätigte sich als Mitbegründer von pazifistischen Organisationen. 1891 regte er einen „Verein zur Abwehr des Antisemitismus“ an, der sich in Wien konstituierte und es als vorrangiges Ziel betrachtete, den inneren Frieden des österreichisch-ungarischen Vielvölkerstaats herzustellen. Das Publikationsorgan war das „Freie Blatt“, das bis 1896 erschien. 1892 propagierte Bertha von Suttner auf dem vierten Weltfriedenskongress in Bern die Gründung eines Europäischen Staatenbundes, was zur Gründung eines „Internationalen Friedensbüros“ in Bern (1893) führte. Dessen Vizepräsidentin war Bertha von Suttner. Im gleichen Jahr half sie Alfred H. Fried (1864-1921) bei der Gründung einer Deutschen Friedensgesellschaft. Im Dezember 1895 war sie Mitbegründerin der Ungarischen Friedensgesellschaft. Am 3. Juni 1897 überreichte sie dem Kaiser Franz Joseph (1830-1916) eine Unterschriftenliste mit dem Plädoyer für ein internationales Schiedsgericht. 1899 arbeitete sie für die „Erste Haager Friedenskonferenz“ (Den Haag, Niederlande), auf der Regierungsvertreter Fragen der nationalen wie internationalen Sicherheit, des Abrüstens und der Einrichtung eines internationalen Schiedsgerichts behandelten. 1902 erkrankte ihr Mann schwer. Bertha von Suttner nahm zunächst allein an einem Friedenskongress in Monaco teil, reiste dann jedoch mit ihrem Mann zur Erholung nach Böhmen. Dieser verstarb am 10. Dezember 1902 in Harmannsdorf. Anschließend wurde der Gutshof wegen Überschuldung versteigert, Bertha von Suttner zog nach Wien.
1903 nahm sie an der Eröffnung des „Institut International de la Paix“ in Monaco teil, welches Fürst Albert I. von Monaco (1848-1922) gegründet hatte. 1904 bereiste sie die USA. Anlass war der Weltfriedenskongress in Boston. In Washington hatte sie eine Unterredung mit dem Präsidenten Theodore Roosevelt (1858-1919) im Weißen Haus. Acht Jahre später folgte eine zweite Amerikareise, die sie als Vortragende von der Ostküste bis zur Westküste in über fünfzig Städte brachte. Am ersten Dezember 1905 bekam Bertha von Suttner als erste Frau den Friedensnobelpreis verliehen, den sie am 18. April 1906 in Christiana entgegennahm. Im gleichen Jahr besuchte sie die „Zweite Haager Friedenskonferenz“.
Zwei Monate vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs, den sie vorausahnte und vor dem sie unablässig warnte, starb von Suttner, vermutlich an Magenkrebs erkrankt, am 21. Juni 1914. Sie wurde, gemäß einer Verfügung ihres Testaments, in Gotha verbrannt. Ihre Urne steht auf einem Sockel im dortigen Columbarium.
Schriftstellerische Tätigkeit: Zunächst schrieb Artur Gundaccar von Suttner ab etwa 1877 kleinere Texte, um seine finanzielle Lage zu verbessern. Dieses motivierte Bertha von Suttner ebenfalls zu schriftstellerischen Arbeiten, die zunächst anonym gedruckt wurden. Akronyme waren „B. Oulet“ und „Jemand“. Ab 1885 arbeiteten beide Suttners intensiv an einer schriftstellerischen Karriere und unternahmen dafür Kontakt- und Vortragsreisen durch ganz Europa. Im Oktober 1885 besuchte Bertha von Suttner den Schriftstellerkongress in Berlin. Während des Winters 1886/87 erfuhr Bertha von Suttner in Paris erstmals vom Friedens- und Schiedsgerichtsverein (London), der sie zu ihrem erfolgreichsten Roman „Die Waffen nieder!“ anregte (geschrieben 1887 bis 1889, Erstdruck 1889, nachdem zahlreiche Verlage eine Drucklegung aus politischen Gründen abgelehnt hatten). Die Konflikte in Geschichte und Gegenwart wurden für das Buch sorgfältig recherchiert, um vor den Schrecken des Krieges zu warnen. Das Buch wurde in viele Sprachen übersetzt und es erschienen bis 1917 vierzig Auflagen, zahlreiche Nachdrucke und Teilabdrucke, so etwa im sozialdemokratischen „Vorwärts“ (1892). 1913 kam es zu einer Verfilmung dieses pazifistischen Bestsellers. Für die internationale Friedensbewegung des späten neunzehnten Jahrhunderts wurde dieser Romanerfolg eine wichtige Voraussetzung zur weiteren Verbreitung des Friedensgedankens. 1889 erschien der Zyklus „Maschinenalter“ (später unter dem Titel „Maschinenzeitalter“), eine utopische Erzählung. Diese Schrift möchte ebenfalls aufzeigen, wohin übersteigerter Nationalismus und Rüstungswahn führt. „Inventarium einer Seele“ (1883) und „Es Löwos“ (1885) sind hingegen stark autobiographisch geprägte Schriften. Neben Monographien verbreitete Bertha von Suttner ihre Gedanken hauptsächlich in deutschsprachigen Zeitschriften der Habsburgermonarchie. Zeitschriften waren im späten neunzehnten Jahrhundert ein wichtiges Medium der Beeinflussung der öffentlichen Meinung. Ab 1892 erschien in Berlin die Zeitschrift „Die Waffen nieder! Monatsschrift zur Förderung der Friedens-Idee“, die ab 1899 durch Alfred Frieds „Friedens-Warte“ weitergeführt wurde. In „Die Waffen nieder!“ veröffentlichte von Suttner zahllose Beiträge in der Artikelserie „Randglossen zur Zeitgeschichte“, so von 1892 bis 1899 und von 1906 bis 1914. Ab 1893 redigierte sie den „Illustrierten Österreichischen Volkskalender“ und von 1893 bis 1895 das „Volksbuch zur Unterhaltung und Belehrung“, die beide in Wien herausgegeben wurden. Übersetzungsarbeiten, wie 1896 Ferdinando Fontanas „Nabuco“, und, im gleichen Jahr, F. A. Fawkes „Der Kaiser von Europa“ (zweite Auflage 1897) dienten hingegen hauptsächlich der Verbesserung ihrer finanziellen Lage. 1909 übersetzte sie „Die Vergangenheit des Krieges und die Zukunft des Friedens“ von Charles Richet (1860-1933) für die Österreichische Friedensgesellschaft (1912 zweite Auflage). Noch zu Lebzeiten erschien eine zwölfbändige Gesamtausgabe ihrer Schriften, jedoch ohne ihre vielen kleineren schriftstellerischen Arbeiten.
Zu Bertha von Suttner existiert eine umfangreiche Sekundärliteratur. Wichtig sind die Biographien von Beatrix Kempf „Das Lebensbild einer großen Frau. Schriftstellerin - Politikerin - Journalistin“ (Wien 1964) und Brigitte Hamanns: „Bertha von Suttner. Ein Leben für den Frieden“ (München 1986. München 19962. München 19913). Beide Autorinnen haben ihre Lebensbeschreibung aus dem reichhaltigen Nachlass gearbeitet, der zum größten Teil in der UNO-Bibliothek in Genf lagert.
(Erstveröffentlichung BBKL, Bd. 24, 2005, Sp. 1435-1471)
(Erstveröffentlichung BBKL, Bd. 24, 2005, Sp. 1435-1471)
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