Das Eintreten der Quäker für den Tierschutz belegt diese schöne Zeichnung von 1841: Eine Gruppe Schaulustiger beobachtet einen Hahnenkampf, der Quäker steht missbilligend abseits.
Ludwig Nikolaus von Zinzendorf, der Gründer der Brüdergemeine, lebte von 1700
bis 1760. Er wurde in Sachsen geboren und in Halle an der Saale ausgebildet. Ab
1722 errichtete er mit böhmischen Glaubensflüchtlingen die pietistische
Siedlungsgemeinschaft Herrnhut, von der aus weitere Siedlungen gegründet
wurden. Die politische Situation in der Mitte des 18. Jahrhunderts und die
spezifische Frömmigkeit der Herrnhuter, die sich an der liebenden
Herzensneigung zu Christus maß, ließen die Brüdergemeine mit eigener
Verfassung, Synode und Kirchenleitung zur evangelischen Freikirche außerhalb
der lutherischen Kirche werden.
Zinzendorf befand sich 1741 bis 1742 in
Amerika, hauptsächlich in Neuengland. Hier, wie auch bereits in England, kam es
zu vielfältigen Berührungspunkten mit Quäkern und Quäkerinnen. Besonders in
Pennsylvania, wo von Herrnhutern die utopisch geprägte Siedlung „Bethlehem“
aufgebaut und lange Zeit in Gütergemeinschaft geführt wurde, trafen die
Herrnhuter Brüder und Schwestern auf Quäker. Dabei lernten sie deren Glauben
und Wirken kennen und wurden davon beeinflusst, wie auch umgekehrt die Quäker
sich mit den Herrnhutern auseinanderzusetzen hatten. Ohne Kommunikation konnte
man nicht aneinander vorbeileben. Einige Quäker pflegten intensive Kontakte zu
den Herrnhutern. So etwa Stephen Grellet (1773-1855), ein evangelikaler Quäker,
der mehrmals Deutschland besuchte und auch bei den Herrnhutern zu Gast war.
Umgekehrt predigte 1741 Anna Nitschmann (1715-1760), eine Bauerstochter, die im
Juni 1757 den Grafen Zinzendorf heiratete, in einer amerikanischen
Quäkerversammlung. Leider ist uns der Wortlaut ihrer Predigt nicht überliefert.
Im 19. Jahrhundert trat vornehmlich der
missionierende Zweig der Quäker in Konkurrenz zu den Herrnhutern, besonders
dort, wo beide Gesellschaften, wie in Afrika und Fernasien, ähnliche Projekte
betrieben. Es kam, trotz aller Unterschiedlichkeit, immer wieder zu
Berührungspunkten und Austausch, wobei das Anliegen um den Frieden beide
Religionsgemeinschaften einander näher brachte. Davon zeugen die Berichte und
Nachrichten, die in den Zeitschriften der Quäker abgedruckt wurden. In dem
Bestand der Bibliothek in Pyrmont betrifft dies „The Friend.
New Series“, (ab 1861), „Friends' Monthly Magazine“ (1830/1831) und „The
Friends' Quarterly Examiner“ (ebenfalls ab 1861).
Der ausgewählte Text (s.u.) stammt
vermutlich von einem Amerikaner aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, der den
Orthodox-Quäkern zuzuordnen ist. Erschienen ist er in der Zeitschrift „Friend's Review“, die von Samuel Rhoads in Philadelphia von
1856 bis 1868 herausgegeben wurde. Der Beitrag ist nicht namentlich gekennzeichnet,
was nichts ungewöhnliches war. Schon die frühen Freunde des 17. Jahrhunderts
haben gelegentlich ihren bürgerlichen Namen vermieden und unterschrieben mit
heute sonderbar anmutenden Umschreibungen. So unterzeichnete Edward Burrough,
ein treuer Weggenosse von George Fox, einige seiner Schriften mit „Son
of Thunder and Consolation“: Burrough sah sich
gleichzeitig als Mahner und als Tröster. Auch
sogenannte „Akronyme“, also Initialwörter, wie G. F. für „George Fox“, waren
äußerst beliebt - nicht nur bei Quäkern. Sie sollten eine besondere Demut
ausdrücken - nicht der Autor war wichtig, sondern der Text. Die Leser wussten
jedoch meist ohnehin, um wen es sich handelte. Das beweisen die zahllosen
Gegenschriften, in denen der Autor oder die Autorin dann mit seinem bzw. ihrem
richtigen Namen aufgedeckt wurden.
Die kurze Geschichte belegt das
Interesse der Freunde am Tierschutz, das tief in der Geschichte des Quäkertums
verwurzelt ist und uns zunächst
zu einem anderen Anliegen, dem der Sklaverei, führt. 1758 beschloss eine
tumultartig ablaufende Versammlung des Philadelphia Yearly Meeting of Friends,
diejenigen Quäker aus der Gesellschaft auszuschließen, die am Import und
Verkauf von Sklaven beteiligt waren. Immer mehr setzte sich die Ansicht durch,
dass Sklaverei gegen Gottes Gebote verstoße. Mit dem Sieg der Unionsstaaten über
die Konföderierten im nordamerikanischen Bürgerkrieg war 1865 die Sklaverei
gesetzlich untersagt. Auch wenn es in der Praxis anders aussah, so schien doch
ein wichtiges Anliegen der Quäker erfüllt worden zu sein - es waren neue
Aufgaben zu suchen. Eine davon war der Tierschutz, der besonders manchen
Vegetariern unter den Quäkern am Herzen lag. Die Herrschaft des Menschen über
Tiere wurde mit Sklaverei gleichgesetzt und stehe einem versöhnten Leben mit
und in der Schöpfung Gottes entgegen. Bereits in der Bibel wird von einem
Friedensreich gesprochen, in dem die ganze Schöpfung mit Gott und sich selbst
versöhnt ist. Eine erste Vorstellung davon ist von dem Propheten Jesaja
überliefert: „Die Wölfe werden bei den Lämmern wohnen und die Leoparden werden
bei den Böcken liegen. Ein kleiner Junge wird Kälber, Löwen und weiteres Vieh
gemeinsam weiden“ (Jesaja XI, 6, ähnlich Jesaja LXV, 25). Diese Vision wurde
von den Quäkern nicht als schwärmerische Illusion abgetan, sondern sie fühlten
sich aufgerufen, an der Herstellung besserer Zustände hier und jetzt in der
Welt zu wirken. Bekannt sind die über 50 Motive dieses Friedensreiches, die der
Quäkermaler Edward Hicks (1780-1849) im Laufe seines Lebens schuf und „The
Peaceable Kingdom“ nannte. Den hohen Stellenwert, den diese All-Versöhnung bei
den Quäkern einnahm, wurde von der deutschen Tierärztin Julie Schlosser
zusammengefasst, die den Quäkern sehr nahe stand. In ihem Buch „Die unbekannten Brüder. Das ethische Problem Mensch und
Kreatur“, das 1932 erschienen ist (erweiterte Auflage 1954 unter dem Titel:
„Das Tier im Machtbereich des Menschen“, ist zu erfahren, dass 1821 unter
Beteiligung von Quäkern in England der erste Tierschutzverein der Welt gegründet
wurde und 1835 ein Schutzgesetz für alle Haustiere im Unterhaus angenommen
wurde. Weitere Texte zu diesem Thema wurden im Londoner Friend
abgedruckt, der damals noch maßgeblichen gesellschaftlichen Einfluss hatte
(Ausgaben 1875, 176, 178; 1876, 186; 1877, 198;).
Die Geschichte „Graf Zinzendorf und die
Taube“ endet mit dem Aufruf „Plea for the Dumb Creation“, also etwa „Bittet für
die beladenen Geschöpfe“. Dieses Zitat verweist auf einen Text von John Woolman
(1720-1772), der einen bekannten Text „A Plea for the Poor”
(“Eine Bitte für die Armen”) nannte.
Graf Zinzendorf und die Taube
Die Grausamkeit gegenüber Tieren ist immer ein Zeichen einer
einfältigen und herzlosen Gesinnung. Große Seelen erkennen wir hingegen an
ihrer echten Humanität. Ich erinnere mich, vor einiger Zeit eine berührende
Geschichte über den Grafen Zinzendorf gelesen zu haben, als dieser noch ein
Junge war. Er war, wie allgemein bekannt ist, ein großartiger deutscher
Adliger, der ganz in der Welt lebte, um Gutes zu vollbringen.
Eines Tages spielte er mit einem Reifen am
Ufer eines tiefen Flusses, der außerhalb des Schlosses, in welchem er aufwuchs,
entlang floss. Dort entdeckte er eine Taube, die sich im Fluss abmühte. Aus
unerklärlichen Gründen war sie ins Wasser gefallen und konnte sich nicht mehr
befreien. Der junge Graf, der sonst recht wasserscheu war, rollte unverzüglich
einen Waschbottich, der in der Nähe lag, zum Ufer, sprang hinein und steuerte
mit Hilfe eines Stockes zu der kleinen Taube, die mächtig zappelte und wild
ihre Flügel schlug. Zinzendorf nahm die Taube in seine Arme, ruderte in dem
Bottich zurück und gelangte sicher zurück an Land. Nachdem er seine kleine
Gefangene zärtlich an seiner Brust gewärmt hatte, lief er mit dem Tier in den
Wald, wo er es frei ließ.
Nun kam seine Mutter hervor, nachdem sie die
ganze Rettungsaktion sorgenvoll vom Schlafzimmerfenster aus beobachtet hatte.
„Warst du denn gar nicht ängstlich?“ fragte sie. „Oh doch, ich war ziemlich
ängstlich“, antwortete der Junge, „aber ich konnte es nicht ertragen, dass das
Tier so zugrunde gehen sollte. Weißt du, Mutter, vielleicht haben irgendwo
junge Vögel in einem Nest sehnsuchtsvoll Ausschau gehalten, wann endlich die
Taube nach Hause kommen würde!“
- Plea for the Dumb Creation -
(Erstveröffentlichung: Claus Bernet: Herrnhuter und Quäker: Tierschutz im 19.
Jahrhundert, in: Quäker. Zeitschrift der deutschen Freunde, 76, 6, 2002, S.
280-282).