Aufmerksame Leser und fleißige Leserinnen aus der Quäkerszene und Interessierte wissen es natürlich schon längst: es gibt einen kurzen Bericht von der Journalistin Claudia Keller über Ihre Erfahrung bei einer sonntäglichen Andacht (Tagesspiegel Berlin).
Im Großen und Ganzen sicher kein weltbewegendes Thema, und auch der Anlass bleibt irgendwie unklar - so wollte ich nicht näher darauf eingehen, zumal schon zwei andere Blogs darüber berichtet haben. Bis mir doch noch ein kleiner, aber möglicherweise folgenreicher Fehler aufgefallen ist: Die sonntägliche Andacht ist Sonntags um 11 Uhr, und nicht um 10 Uhr. Falls also doch jemand aufgrund des Artikels die Berliner Quäkergemeinde aufsucht, sollte er dies bitte beachten.
Ich glaube allerdings kaum, dass der Artikel viele neue Besucher bringen wird: er ist auffallend demotivierend geschrieben, und man merkt der Autorin an, wie hart es ist, auch noch sonntags auf Tour gehen zu müssen: "Ein Blick auf die Uhr: erst zehn nach Elf" - da war es zu diesem Zeitpunkt in der Bundesversammlung wahrscheinlich spannender. Gestolpert bin ich über den Ausdruck "einige lümmeln" - das hätte ich doch zu gerne gesehen. Nunja, wenn ich hier schreiben würde, die Berliner Andachtsbesucher lümmeln herum, dann würde das Telephon nicht stillstehen, aber was soll's.
Es folgt eine kleine Charakterisierung der Quäker, von den viele Tagesspiegelleser wohl erstmals hören. Alles okay, nur "keine Hierarchie" trifft bei Quäken die Sache nicht. Im Gegenteil, ich habe ja auch schon wissenschaftlich über die ausgeprägte Hierarchie bei deutschen wie auch internationalen Quäkerorganisationen gearbeitet. Fast keine Glaubensgemeinschaft hat ein derart kompliziertes Ineinandergreifen von Ämter, Aussschüssen, Arbeitsgruppen, formalen und informellen Kreisen, das schwer zu durchschauen ist, zumal neuerdings immer mehr Ämter doppelt ("Teamschreiber", "Ältestenteam", etc.) besetzt werden. Von der Wikipedia-Arbeitsgruppe zum Kommunikationsausschuss gibt es fast alles. Die Folgen sind fatal: auf Ebene der lokalen Gruppen geschieht fast nichts mehr, kann auch nichts mehr geschehen, da alles von oben abgesegnet werden muss. Die Konsequenz: viele Mitglieder bringen sich nicht mehr ein oder engagieren sich anderwärtig. Hinzu kommt noch das Problem der informellen Hierarchie, wozu Gerhard Ockel einmal einen sehr klugen Artikel in der Zeitschrift "Quäker" verfasst hat: desto kleiner eine Gemeinschaft wird, desto familienähnlicher und selbstreferentiell solche sozialen Verbände werden, desto stärker können dominante Charaktere auftreten - gerade in Gemeinschaften, in denen kein Pastor/Priester ausgleichend wirkt.
Jetzt habe ich doch mehr geschrieben als anfangs gedacht. Aufgefallen ist mir nur noch, dass Frau Keller ganz offen und frei über das in der Andacht Gesprochene schreibt - was sich in einer offenen Gesellschaft auch kaum verhindern lässt, selbst wenn manche Mitglieder mit dieser Art von Öffentlichkeit große Probleme haben, ohne sich aber einmal in den Diskurs darüber mit einzubringen.
Auch das Gute kann noch besser werden, und damit meine ich vor allem das Bild des online-Artikels: ich habe im Tagesspiegel selten einen Beitrag vor mir gehabt mit einem derart unscharfen Bild, auf dem kaum etwas zu erkennen ist. Leere Stühle finde ich persönlich wenig passend - es hat für mich etwas Geisterhaftes. Warum auch die Webpage der Berliner Gruppe damit wirbt, ist mir schleierhaft. Ist es denn nicht machbar, einmal ein lebendiges Gruppenfoto zustande zu bringen, gerne auch mit den Gästen (die intern "Freunde der Freunde" genannt werden)?
So geht es auch: Planckstraßenbesucher in grauer Quäkertracht zeigt sein Gesicht